Bei der Uraufführung von Albert Ostermaiers “Ein Pfund Fleisch“ verheben sich Text und Regie am zitierten Gedankenkosmos Shakespeares

Hamburg. Es wird viel rebelliert und aufbegehrt derzeit. Gründe gibt es reichlich. In den von Marcel Didolff in Schwarz-Weiß projizierten Straßenszenen macht sich das Volk Luft gegenüber der Staatsgewalt. Auf dem kühlraumartigen Spielfeld baumelt eine - künstliche - Schweinehälfte von der Decke. Technobeat dröhnt. "Am besten kauft man dann, wenn das Blut auf den Straßen klebt. Selbst, wenn es dein eigenes ist", sagt Dominique Horwitz als Shylock. Seine Bubenhaftigkeit ist geschäftsmännischer Aasigkeit gewichen.

Wie wir heute wissen, sind die Banken an allem schuld. Es waren ihre Risiko-Geschäfte, die dafür gesorgt haben, dass der Kapitalismus in der Finanzkrise sein schäbiges, gefräßiges Gesicht offenbarte. Für den anerkannten Münchner Autor Albert Ostermaier roch das stark nach Shakespeare. Auf der Folie des "Kaufmanns von Venedig" wollte er in "Ein Pfund Fleisch" die Implosion des Systems vorführen. Das gelingt in Dominique Schnizers Uraufführung auf dem Spielfeld des Schauspielhauses nur sehr bedingt.

Denn man kommt natürlich nicht umhin, Personal und Gedankenkosmos Shakespeares mitzudenken, wenn man auf der Bühne auf Shylock, Antonio und Bassanio trifft. Die allerdings wetteifern hier wortreich darum, wer von ihnen der Zynischste ist. Fragen der höheren Ordnung, des Gesetzes und der Religionszugehörigkeit sind hier zurückgedrängt hinter der Vorführung eines verrohten Berufsstandes, der Werte nur noch pro forma anruft. Stefan Haschke gibt Bassanio als Jurastudenten, der in Portia eine Liebestrophäe begehrt.

Bei Maria Magdalena Wardzinska wird Portia zu einer rotzigen Paris Hilton auf Plateausohlen, die sich recht platt per nordischem Parka und Turnschuhen in den "Investmentpunk" Gratiano verwandelt. Bassanio entleiht beim jüdischen Banker Shylock 3000 Euro, um der Wohlsituierten zu imponieren. Die Schuld will sein Freund Antonio begleichen, ein weltmännischer Michael Prelle, dem Bassanio dafür auch mal beherzt in den Schritt fasst. Nur mehr als verrätseltes historisierendes Zitat singt Hanns Jörg Krumpholz als Gehilfe Tubal wie einst Elvis vom "Ghetto". Auch ihm juckt es zwischen den Beinen. Seine dreckige Lache macht ihn nicht sympathischer.

Dabei beginnt die Inszenierung eigentlich recht vielversprechend. Auf dem kalten, leeren Börsenplatz (Bühne: Christian Treunert), der in seiner Sterilität an die fetten 1990er-Yuppie-Jahre erinnert, umschleichen sich tierhaft die Männer. Status- und geltungssüchtig in einer Atmosphäre der Rohheit, in der es kaum noch aufstößt, dass es neben Termingeschäften und Fleischkontrakten irgendwann auch um Menschenfleisch geht. Das nämlich muss Antonio entrichten, wenn sein Deal misslingt und er die 3000 bei Shylock nicht auslösen kann. Immer härter geht es zur Sache, die Männer rüsten sich mit Boxhandschuhen. In diesem todbringenden Spiel lauern mehr als blutige Nasen.

Hier beginnt die Aufführung, sich im Kreis zu drehen. Es ist dramaturgisch nicht besonders aufregend, wenn Männer permanent in ihre Handys brüllen. Kühle und Sterilität wachsen sich zu Statik aus. Wie wohltuend, wenn wenigstens die Demonstrierenden auf der Leinwand zu den Techno-Klängen des Hamburger Indie-Musikers Jimi Siebels zur Aktion greifen.

Auch damit gelingt dem ohnehin künstlerisch schlingernden Schauspielhaus leider kein Befreiungsschlag.

"Ein Pfund Fleisch" nächste Termine 22.9., 27.9., jew. 20.00, 7.10., 18.00, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de