Eine große Retrospektive würdigt den in Deutschland eher unbekannten chilenischen Künstler Roberto Matta im Bucerius-Kunst-Forum.

Hamburg. Die Bilder des Chilenen Roberto Matta sind wie Landschaften, in denen der Geist gerne herumspaziert. Feine Linien bahnen sich darin ihren Weg durch energetisch aufgeladene, glühende Räume. Mal erinnern sie an Stürme des Kosmos, hier an das Innere einer Maschine, dort an urtümliche Lebensformen und Einzeller, die sich aus einer Ursuppe materialisieren. Für ihn bedeuteten seine Bilder der Nebel, mit dem ihn die Dinge durchdringen.

Beim Namen Matta glüht beim Kunstfreund nicht gleich die rote Lampe. Zwar zählt der 1911 in Chile geborene und 2002 verstorbene Matta zu den prägendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts, in Deutschland wurden seine Werke selten ausgestellt. Mutig und positionsstark ist es da zu nennen, dass das Bucerius-Kunst-Forum ihm eine große Retrospektive widmet. Anhand der 40 großformatigen Gemälde erzählt "Matta. Fiktionen" bis zum 6. Januar nächsten Jahres von den Metamorphosen dieses Künstlers. Großzügig präsentiert auf geschwungenen Wänden, denn Matta hasste rechtwinklige Räume.

Der Matta der 1930er- und 40er-Jahre war geprägt vom Studium der Architektur, frühen Anfängen bei Le Corbusier in Paris und ging von der Zeichnung aus, die er in den Farbraum erweiterte. Schon damals war er ein universell Gebildeter, der fließend Englisch sprach, sich mit Geschichte und Poesie auskannte und dem Lebensstil eines Kosmopoliten huldigte. Kontakte zu Künstlern wie André Breton und Marcel Duchamp entstanden und auch Matta war dem Surrealismus verpflichtet. Er kreierte psychologische Morphologien, in denen er Innensicht ("Inner") und Landschaft ("Landscape") zu "Inscapes" fusionierte.

Seine Motive speisten sich aus der tiefen Überzeugung einer größtmöglichen künstlerischen Freiheit, in der er Elemente der realen Welt und des Unbewussten, der Mythologie, der Glaubenslehren und des Zufalls kreuzte. Sie erschienen wie eine Fortschreibung der surrealistischen 'écriture automatique'. "Ich glaube, ich habe mir mit meinen Bildern eine Welt, eine Art Universum, mit einem Ritual geschaffen, in dessen Mittelpunkt ich ganz allein stehe, ein wenig so wie Robinson Crusoe", äußerte sich Matta selbst. 1939 mit Beginn des Zweiten Weltkrieges ins New Yorker Exil geflohen, wurde er zum Sprachrohr des europäischen Surrealismus in den USA und wandte sich zunehmend dem abstrakten Expressionismus zu. Duchamps "Großes Glas", das durch einen Unfall zerbrochen war, inspirierte ihn etwa in den 1940er-Jahren zu Gemälden, in denen Linien auf geometrischen Flächen und abstrakten Raumstrukturen an scharfkantige Bruchstücke erinnern. Für Matta war es reizvoll, "eine Wandlung zu malen".

Folgenreich war die Wandlung, die er selbst Mitte der 1940er-Jahre vornahm. Auf einmal bevölkerten menschenähnliche Gestalten seine Landschaften. Seltsam deformierte, grinsende Geister, wabernde, comicartige Phantome. Sie sind Ausdruck eines neuen, politisierten Matta. Im Zuge der Kriegsereignisse rückte der Mensch in den Mittelpunkt einer engagierten Kunst. Das Interesse verlagerte sich von einer psychischen zu einer sozialen Morphologie.

Die amerikanische Avantgarde reagierte entsetzt. Matta, einst Inspirationsquelle für die Maler der New York School wie Jackson Pollock oder Robert Motherwell, wurde von diesen verbannt. 1948 ging er zunächst nach Chile, später nach Europa. In der Folge entstanden Arbeiten, die großformatig die visuelle Energie von kubenähnlichen Architekturen untersuchten. Gipfelnd in großen Formaten in den 1960er-Jahren, die den Betrachter einbeziehen, darunter "Le Honni Aveuglant" (1966), ebenfalls in der Schau zu sehen. Matta sah sich selbst als Aufklärer, der das Außenseitertum bewusst in Kauf nahm.

Seine Kritik richtete sich nicht nur gegen Gewalt, Krieg und Tod sondern auch gegen den grassierenden blinden Fortschrittsglauben. In "No Title Les oh! Tomobiles" (1972/73) sind ganze Wagenkolonnen ineinander verkeilt. Ihre hinters Steuer geklemmten Fahrer scheinen mit den Automobilen verwachsen. Erst in den letzten Jahren wandte sich Matta vom Figurativen wieder ab. Manche sehen in ihm einen direkten Vorläufer des "Forscherkünstlers" der jüngsten Documenta. Nicht übersehen sollte man einen Hingucker am Ende der Ausstellung: Ein fluoreszierendes Gemälde, das seine Oberfläche stetig verändert. Ganz wie sein Schöpfer.

"Matta. Fiktionen" 22.9.2012 bis 6.1.2013, Bucerius-Kunst-Forum, Rathausmarkt 2, täglich 11.00-19.00, Do 11.00-21.00; www.buceriuskunstforum.de