Der koreanische Regisseur Kim Ki-duk erhielt für seinen Film “Pieta“ in Venedig den Goldenen Löwen. Im Oktober kommt er nach Hamburg.

Venedig. Es war ein rührendes Bild, wie Kim Ki-duk bei der Preisverleihung am Lido eine koreanische Schnulze anstimmte. Der Regisseur hatte sich in einer tief depressiven Phase für lange Zeit in eine einsame Waldhütte zurückgezogen. Jetzt hat er sich mit seinem neuen Film "Pieta" kraftvoll zurückgemeldet. Und dafür am Sonnabend den Goldenen Löwen erhalten . Zum Dank sang er jenes Lied, das ihm damals, in der Hütte, Glück gebracht hatte. Als Nächstes kommt Kim Ki-duk an die Elbe, wo ihm am 4. Oktober auf dem Hamburger Filmfest der Douglas-Sirk-Preis verliehen wird. Auch "Pieta" wird dann in Hamburg gezeigt, offiziell startet der Film erst 2013.

Hamburger Abendblatt: Heute Venedig, in ein paar Wochen Hamburg - was bedeuten Ihnen Preise?

Kim Ki-duk : Mir ist eigentlich nur wichtig, meine Filme auf Festivals zeigen zu können. Aber natürlich erhöhen Preise die Chancen, dass der Film auf Reisen geht, dass er ein größeres Publikum findet. Dass ich jetzt den Goldenen Löwen bekomme, bedeutet mir unendlich viel. Ich habe großes Glück, ich werde auf alle Festivals eingeladen. Aber Venedig ist doch das wichtigste für mich, hier habe ich vor elf Jahren mit "The Isle" meinen Durchbruch erlebt.

Sie hatten sich für einige Zeit gänzlich vom Filmgeschehen zurückgezogen. Es stand schon zu befürchten, dass Sie dem Kino ganz verloren gegangen wären. Wie fühlt es sich an, nun wieder derart in die Filmgemeinde aufgenommen zu werden?

Kim: Es war eine sehr schwierige und harte Zeit für mich. Dass ich darüber einen Dokumentarfilm gedreht habe, "Arirang", war eine Möglichkeit, diese Zeit mit meinen eigenen Mitteln zu verarbeiten. Jetzt bin ich wahnsinnig froh, wieder die Kraft für Spielfilme zu haben. "Pieta" ist für mich wie ein neuer Anfang: Ich bin wieder da.

Ist es Zufall, dass dieser Neustart mit einem Film über Mutterliebe beginnt?

Kim: Nun ja, der Film handelt von einem brutalen Schuldeneintreiber, der durch die Rückkehr seiner Mutter, die er nie gekannt hat, geläutert wird. Aber vor allem ist es ein Film darüber, wie die Finanziers der kapitalistischen Gesellschaft die Welt schlechtmachen, weltweit. Das ist hässlich, und dem musste ich etwas entgegenhalten, um es erträglicher zu machen. "Pieta" ist ja auch einfach ein Wort für Mitleid.

Auch in Cannes lief in diesem Jahr ein koreanischer Film über den Kapitalismus, "Taste of Money" von Im Sang-soo. Gibt es da Bezüge?

Kim: Auch dieser Film handelt vom Geld, aber "Taste of Money" zeigt die Reichen, die Chefetagen. Mein Film handelt von den Verlierern dieses Systems. Ich zeige die negativen Seiten des Kapitalismus und die Probleme, vor denen wir Angst haben sollten.

Sie finden dafür eine recht drastische Metapher: Arme Werkarbeiter schließen Versicherungen gegen Verkrüppelungen ab und lassen sich für Geld bereitwillig die Knochen brechen. Wie kommt man auf solche Ideen?

Kim: Die Menschen heutzutage sind besessen von der Idee, dass Geld alle Probleme löst. Dabei ist das Geld selbst das Problem für die meisten Missstände. "Pieta" ist ein fiktiver Film mit dramatischen Effekten. Das Prinzip Geld gegen Schmerz überspitzt das System nur ein bisschen.

Ist dieses Symbol globalisierungstauglich? Könnte "Pieta" auch in anderen Ländern spielen?

Kim: Ich wollte es sogar woanders filmen. Mein Plan war, ihn in Paris zu drehen. Ich habe drei Monate in Europa verbracht und wollte Jude Law und Isabelle Huppert dafür gewinnen. Das hat leider nicht geklappt. Die haben dort ganz andere Zeitpläne. Dann habe ich versucht, das Projekt in Japan zu realisieren. Aber auch das hat nicht geklappt. So habe ich doch wieder in meiner Heimat gedreht.

Wäre der Film in Europa anders geworden, weniger drastisch?

Kim: Die Gewalt ist ganz eminent in dieser Story, nein, die hätte man nicht anders darstellen können. Aber was sich natürlich verändert hat, sind die Hintergründe. Wir haben in Cheonggyecheon gedreht, wo ich selbst aufgewachsen bin. Ich bin nicht zur Schule gegangen, ich habe in meiner Kindheit in genau solchen Fabriken gearbeitet, wie ich sie hier zeige. Dieses Leben damals hat meine Sicht auf die Welt geprägt. Ich musste die Mechanismen der technischen Geräte lernen und habe realisiert, wie sehr sie den Mechanismen entsprechen, wie Menschen ihr Leben gestalten.

Ihre Gewaltdarstellungen sind immer reichlich explizit. Unvergessen, wie im Jahr 2000 bei "The Isle" die Vorführung in Venedig unterbrochen werden musste, weil Zuschauer in Ohnmacht fielen. Was sagt Ihnen, wie weit Sie gehen können?

Kim: Hier in Venedig habe ich immer wieder gehört, "Pieta" sei gewalttätig, aber auch ein sehr schöner Film. Davon abgesehen ist er viel weniger explizit als frühere Werke von mir. Der Schmerz ist essenziell in dieser Geschichte, ich zeige, wie er sich anfühlt, aber nicht, wie er zugefügt wird. Aber viele sagen auch, das sei schlimmer, weil die Vorstellungen im Kopf viel stärker sind.

Welche Chancen haben Ihre Filme im internationalen Kinomarkt?

Kim: Es ist leichter, das Publikum zu ändern als das System. Das System wird vom Geld bestimmt. Aber ein Publikum kann man, das ist meine feste Hoffnung, überzeugen, dass Filme mehr sind als nur Unterhaltungsware. Selbst wenn ein Film nicht gleich seine Produktionskosten einspielt, wird langfristig doch bemerkt, dass es da noch eine andere Qualität gibt als nur das Kommerzkino in den Multiplexen. Festivals wie dieses sind dafür ein ideales Schaufenster.

Werden Sie je in Europa drehen?

Kim: Wenn die Schauspieler sich richtig anfühlen ... Aber ich fürchte, ich bin zu schnell für Europa. In Korea hat die Vorbereitungszeit nur zehn Tage gedauert, 20 Tage die Dreharbeiten und 30 Tage die Postproduction. Der ganze Film ist also ziemlich schnell entstanden. In Europa hat mich allein die Terminfindung für das Casting so gequält, dass ich sehr ernüchtert wurde.

Eine persönliche Frage sei erlaubt: Sind Sie jetzt, nach Ihrer Krise, geheilt?

Kim: Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Nach "Arirang" war ich mir nicht mehr sicher, ob ich das Filmemachen noch beherrsche. Die Welle der Sympathie, mit der "Pieta" in Venedig aufgenommen wurde, macht mir Mut weiterzumachen.