Die Kriegsreporterin Janine di Giovanni hat ein bewegendes Buch über Tod und Gewalt geschrieben: es ist eine Art Liebesbrief geworden.

Zum ersten Mal begegnen sie sich in der Lobby des Holiday Inn in Sarajevo - ein hässliches, zugiges Loch, gelegen an einer der gefährlichsten Frontlinien der Stadt. Es ist das Jahr 1993, das zweite Kriegsjahr, Janine di Giovanni und Bruno Girodon berichten über die längste Belagerung der jüngeren Geschichte. Sie für eine große britische Tageszeitung, er für den Sender France 2. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Mehr noch: jene Art Seelenverwandtschaft, die ohne Worte funktioniert.

Wenn sie sich küssen, hören sie durch das offene Fenster Kampfgeräusche. Wenn sie aus der Lobby hinaustreten, stolpern sie über getötete Soldaten. Die Leichen zu bergen wäre zu gefährlich, deshalb bleiben sie in der brennenden Hitze liegen. Bei jedem Abschied lauert die Angst im Nacken, dass es kein Wiedersehen gibt. "Der beste Journalist ist der, der am Leben bleibt, um seinen Artikel zu schreiben", sagt Bruno zu seiner Freundin, die später seine Frau werden wird, bevor er Rucksack und Kamera nimmt und sich nach Westafrika aufmacht. Schlachten und Fronten bestimmen ihre Kalender, nicht Jahreszeiten und Feiertage.

+++ "Wer kann, der flieht" +++

"Die Geister, die uns folgen" hat die Kriegsreporterin Janine di Giovanni ihren autobiografischen Roman genannt, der von der Macht der Erinnerung erzählt, von Hilflosigkeit und Traumata - vor allem aber von der Liebe zweier Menschen, die wund an der Seele sind nach so langer Zeit inmitten von Gewalt. Janine di Giovanni ist in Afghanistan gewesen, im Irak, in Liberia, in Sierra Leone, Ruanda und auf dem Balkan. Sie hat das, was andere Menschen in Sekundenausschnitten als Nachrichtenbilder auf dem Sofa konsumieren, am eigenen Leib miterlebt: Mütter, die weinen, weil ihre Söhne nicht mehr nach Hause kommen. Kinder, die auf Landminen getreten sind oder durch Mörsergranaten in die Luft flogen, während sie einen Schneemann bauten.

Ist es nicht Wahnsinn, in eine solche Welt ein Kind zu setzen? "Lass uns ein Baby haben, lass uns heiraten", sagt Bruno und filmt wenig später den Bürgerkrieg in Algerien.

Janine di Giovanni hat keinen klassischen Kriegsroman geschrieben - auch wenn sich das Buch um die Ungeheuerlichkeit des Sterbens kreist, sich stellenweise wie das Protokoll eines Albtraums liest. Im Mittelpunkt steht ein Familienalltag, wie er den meisten Menschen so leicht zu fallen scheint - und di Giovanni und den Kollegen, die jahrelang um den Globus geirrt sind, so unfassbar schwer. Als ein Soldat mit einer Waffe auf ihr Herz zielt, hat die Reporterin keine Angst. Als sie in Paris lebt, sich um ein Bankkonto und Umzugskartons kümmern soll, überkommt sie Panik. Und so ist nicht verwunderlich, dass die Geburt ihres Sohnes, der, nachdem sie drei Fehlgeburten erlitten hat, schließlich auf die Welt kommt; dass sich diese mutige Frau in ein Angstbündel verwandelt. Ohne Plan, ohne Namenswahl, ohne eine Ahnung, was es bedeutet, Mutter zu sein, bringt sie Luca auf die Welt. "Ist er tot?", ist ihre erste Frage im Kreißsaal. "Als ich Luca hielt, bekam ich plötzlich Angst vor allem, was diesem Kind zustoßen könnte, vor allem, was ich gesehen hatte und das Kindern zugestoßen war: Krankheit, Krieg, Tod", schreibt sie.

Di Giovannis Ton ist schutzlos direkt, ehrlich bis zur Schmerzgrenze. Da ist die eigene Irrationalität in den ersten Monaten nach Lucas Geburt, in denen sie Wasser, Konserven und Medikamente hortet - für den Fall, dass Paris belagert werden sollte. Da ist Brunos Depression, die schleichend kommt, aber umso fataler ist: Er schläft nicht mehr, sitzt nachts rauchend auf dem Sofa, spielt Kriegsspiele am Computer, trinkt. Und er ist nicht der Einzige. So viele ihrer Kollegen, erzählt Janine di Giovanni, haben den Krieg überlebt und sich später eine Kugel in den Kopf gejagt. Weil die Geister stärker waren.

"Die Geister, die uns folgen" ist ein trauriges und doch hoffnungsvolles Buch geworden. Man muss es hin und wieder weglegen, sonst hält man es nicht aus.

Wie Janine di Giovanni es ausgehalten hat, ist nur schwer vorstellbar: die einsame Ausweglosigkeit und die mutlose Verzweiflung, die einen überkommt, wenn man an einem Ort aufwacht, der nach Tod stinkt. An einem Ort, an dem Sterben nichts Besonderes ist. Augenblicke später steht sie auf Grillpartys und Champagnerempfängen in Paris, ist Teil der klischeehaften Gegenwelt zu der des Terrors. Wie fasst man einen Sektkelch an, wenn man wenige Tage vorher sterbende Kinder in den Armen gehalten hat? Die Frage, die Janine di Giovanni am meisten umtreibt, ist: Wie kann man ein glückliches Kind aufziehen, wenn man alles Leid der Welt kennt? "Ich hatte fürchterliche Angst, dass sich meine Albträume oder mein schlechtes Blut auf meinen Sohn übertragen könnten", schreibt die Risikoerzählerin, die sich nicht scheut, ihre Seelenrisse und ihr Scheitern an den scheinbar so einfachen Dingen des Lebens immer wieder offenzulegen. Als Luca ein halbes Jahr alt ist, lässt sie ihn bei seinem Vater und der Kinderfrau in Paris zurück und geht nach Bagdad: "Aus meinen Brüsten quoll noch Milch, und ich vermisste mein Kind mit einer Vehemenz, die mir unbegreiflich war."

"Für Bruno - Dies ist mein Liebesbrief", hat die Reporterin dem Buch als Widmung vorangestellt - und die größte Überraschung nach 300 Seiten ist die Erkenntnis: Es stimmt. Dieses Buch ist ein Liebesbrief. Weil es ein Plädoyer ist für die tiefe Bindung und Liebe zu einem anderen Menschen, für Hoffnung inmitten von Hoffnungslosigkeit. Man kann nicht weglaufen, wenn die Geister zuschlagen. Aber man kann einen Liebesbrief schreiben und ihn leben.

Janine di Giovanni: "Die Geister, die uns folgen". Deutsch von Gaby Wurster, Bloomsbury Verlag, 288 Seiten, 17,99 Euro