Schriftsteller Gerhard Henschel erhielt im Literaturhaus für seinen Romanzyklus den mit 25.000 Euro dotierten Hannelore-Greve-Preis.

Hamburg. Einige Figuren aus seinen Büchern seien auch anwesend, jetzt und hier an seinem Ehrentag im Literaturhaus, das teilte Gerhard Henschel dem ohnehin schon amüsierten Publikum mit. Jetzt bloß nicht den Blick durchs gut gefüllte Rund wandern lassen! Eltern, Geschwister, vielleicht auch Freunde - man kennt Henschels Figurenensemble aus seinem Romanenzyklus: aus "Kindheitsroman", aus "Jugendroman" und aus "Liebesroman".

Das nicht nur groß, das nachgerade riesenhaft angelegte biografische Projekt Henschels stellt den Kern seiner schriftstellerischen Arbeit dar. Und für diesen gewichtigen, gewagten Roman-Mehrteiler, an dem er seit mehr als einem Jahrzehnt schreibt, wurde Henschel jetzt mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis ausgezeichnet.

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Der wird nur alle zwei Jahren verliehen und findet in Henschel, diesem begnadeten Erinnerungsautor in der Nachfolge Marcel Prousts, einen würdigen fünften Preisträger - nach Siegfried Lenz (2004), Hans Pleschinski (2006), Arno Surminski (2008) und Lea Singer (2010). Dass der von Hannelore Greve gestiftete und von der Hamburger Autorenvereinigung verliehene Preis mit 25 000 Euro dotiert ist (ein hoher Betrag, der im deutschsprachigen Raum nicht oft vergeben wird), dürfte nur einer der Gründe für Henschel gewesen sein, als rundum zufriedener Autor in Hamburg aufzutreten.

Oder sagen wir: Für den Augenblick rundum zufrieden. Denn mehr geht bekanntlich immer noch. Es ist ja nicht so, dass Henschel, bei aller Akzeptanz, die ihm von Kritikern, Kollegen und Lesern entgegenschlägt, bislang wirklich hinreichend gewürdigt worden wäre. Literaturhaus-Chef Rainer Moritz durfte in seiner Laudatio darauf verweisen, dass eine Behauptung von ihm nun aber trotzdem widerlegt sei: Er, Moritz, habe vor nicht allzu langer Zeit prophezeit, dass es erst in spätestens zehn Jahren für Henschels einmaliges Romanprojekt Preise regnen werde.

Es könnte und sollte tatsächlich so sein, dass der Hannelore-Greve-Literaturpreis nur der Anfang einer ganzen Reihe von Ehrungen für Henschel ist. Laudator Moritz schickte viele freundliche Worte in Richtung des Autors, den er einst, ins einem früheren Leben als Verlagschef, zu Hoffmann und Campe geholt hatte. "Henschels Romanzyklus ist ein Füllhorn der Alltagsgeschichte, ein Baukasten der Erinnerung", sagte Moritz - und verwies auf die viele Arbeit, die in den nächsten Jahren auf Hofmann und Campe zukomme.

Schließlich sei Henschels Romanheld Martin Schlosser am Ende von Henschels brandaktueller Lieferung - der "Abenteuerroman" ist nun druckfrisch erschienen - erst 21 Jahre alt. Da bleibt in der Tat noch viel Erzählstoff, in dem die Leser zusammen mit Henschel dem Lebensweg der 1962 geborenen Figur folgen können. Schlosser ist natürlich überhaupt nicht zufällig derselbe Jahrgang wie Henschel - er ist sein literarisches Ich.

So sind die Romane Henschels Bücher über ihn selbst, die mit Akribie, Sinn fürs Detail, Zeitkolorit und viel, viel Komik das Aufwachsen eines Kindes, Jugendlichen und später jungen Mannes in der alten Bundesrepublik nachzeichnen. Bedauerlich nur, besonders für Henschel selbst: Die Handlung spielt großteils in Meppen. Geboren wurde Henschel 1962 aber in Hannover, nach einigen Jahren in Hamburg lebt er mittlerweile in der Nähe von Berlin.

Henschels humoristische Begabung, die in seinem ausdauernden erzählerischen Vermögen aufgeht, stammt auch von seiner früheren redaktionellen Tätigkeit in dem Magazin "Titanic" her. Das Vorbild des Chronisten und Dokumentaristen Gerhard Henschel ist unverkennbar Walter Kempowski. Ihm widmete Henschel sein Essay "Da mal nachhaken. Näheres über Walter Kempowski" (2008). Henschel gehe es in seinen Büchern immer, so Moritz, "um die Fragen: Was hat mich geformt? Warum bin ich der, der ich geworden bin? Wie kann man ohne verklärten Blick zurückschauen?"

Nachdem er den Preis für das Werk eines Schriftstellers für "herausragende Leistungen auf dem Gebiet der deutschsprachigen Literatur" aus der Hand der Stifterin erhalten hatte, stattete der Preisträger einen Dank auf seine Weise ab: Henschel las ein Exzerpt aus dem "Abenteuerroman", der seinen Helden in den politisch aufgeladenen und linksbeseelten Früh-80ern zeigt.

Nicht ohne vorher von Kultursenatorin Barbara Kisseler eine dringende Bitte mit auf den Weg bekommen zu haben: Henschel solle, so Kisseler, sie doch bitte anrufen, wenn er dereinst über Hamburg zu schreiben gedenke. Ganz unwahrscheinlich ist das ja nicht - schließlich folgt Henschel seit dem Briefroman "Die Liebenden" seinem eigenen Lebensweg.