Hinter der Hauptfigur in “Shadowland“ steckt die 28-jährige amerikanische Tänzerin Molly Gawler. Das Idol der jungen Frau ist Charlie Chaplin.

Kampnagel. Wie viele Mädchen träumte auch Molly Gawler davon, eine Ballerina zu werden. Im Tutu auf Spitzenschuhen über die Bühne zu schweben. Sie bekam von Kindesbeinen an Unterricht in klassischem Tanz, strikt nach der russischen Schule, wie sie betont. Gawler sah sich als Schwanenprinzessin und wäre nie auf die Idee gekommen, das Hundemädchen in der ersten großen Schattentheater-Produktion der Pilobolus-Compagnie zu verkörpern. Nun ist die 28-jährige Amerikanerin seit 2009 in 300 Vorstellungen von "Shadowland" aufgetreten und spielt ab heute ihre bezaubernde Rolle wieder beim Gastspiel auf Kampnagel.

"Die Tage des Spitzentanzes sind vorbei", sagt die junge Tänzerin fröhlich und lacht amüsiert. Der Besuch einer Vorstellung des Pilobolus Dance Theatre hat ihr Leben verändert. "Ist das Tanz oder Theater, hab ich mich erstaunt gefragt. Besonders fasziniert hat mich das Solo einer Frau mit Riesenhut", erzählt sie. "Es wirkte zugleich sehr schick und doch sehr komisch."

Ein Jahr später fuhr Gawler zur Audition nach New York City. Robbie Barnett - er gründete 1971 die Compagnie - bat die Bewerber, über die Bühne zu laufen. "Ich habe das auf meinen Händen gemacht. Robbie guckte verblüfft und meinte: 'Oh, was ist das?' Ich glaube, deshalb bekam ich den Job, ehrlich." Wieder das offene und laute Lachen. Entscheidend war wohl vielmehr Gawlers Gabe, Anmut und Komik zu verbinden. Denn ihr Idol ist Charlie Chaplin. "Ich bewundere sein Timing, die Fähigkeit, Gegensätzliches wie Charme und Genauigkeit, Ernst und Witz zu verbinden." Außerdem hatte sie beim zeitgenössischen Tanztraining das Arbeiten mit dem Boden entdeckt und die Möglichkeiten, die Schwerkraft zu nutzen und mit ihr zu spielen.

2006, im Jahr des Vortanzens, fragte eine japanische Autofirma bei Pilobolus an, ob die Tänzer ein Auto ohne Auto darstellen könnten. Hatten sie zwar noch nie gemacht, doch Barnett sagte zu. "Das war auch meine erste Arbeit", sagt Gawler. "Ich war von Anfang an beim Experimentieren mit dem Schattentheater dabei." Und natürlich auch bei der Oscar-Verleihung 2007, bei der die Pilobolus-Compagnie mit ihrer Show weltweit Furore machte.

Eine Roadmovie-Szene mit einem Pick-up-Truck ist auch in "Shadowland" zu sehen. Da lässt Gawlers Hundemädchen seine Ohren im Gegenwind flattern. Sie trägt keine Maske, bildet die Umrisse der zentralen Figur in diesem Märchen über das Erwachsenwerden mit Fingern, Händen, Armen, Beinen und dem ganzen Körper. Nur das kleine Bündel am Stab über der Schulter ist ein Requisit.

Was ist das Geheimnis bei der Komposition der Schattenbilder? "Superpräzision und Zusammenarbeit." Die absolut disziplinierte Teamarbeit gilt - im Gegensatz zum solistischen Virtuosentum im Ballett - seit der Gründung der Compagnie als oberstes Pilobolus-Gebot. Nicht, dass die neun Tänzer hinter der Leinwand nicht Virtuosen wären. Im Gegenteil: Der Bau der Figuren und ungewöhnliche Hebungen erfordern viel Balance, Kraft und Geschicklichkeit im Spektrum zwischen (Boden-)Akrobatik und Tanz.

"Am schwierigsten ist das riesige Profilgesicht", sagt Gawler. "Wir müssen es täglich üben." Dazu kommt die Manipulation der verschiedenen Lichtquellen, um die Schatten auf dem großen und den kleineren Screens zu erzeugen. "Mit dem tischgroßen Projektor sind es 17, darunter sind Kopf- und Taschenlampen. Schon ein Zoll Abweichung in der Distanz zwischen Körper und Licht ergibt enorme Unterschiede im projizierten Bild." Deshalb sind auch Markierungen am Boden angebracht, die eine Art Choreografie für die Tänzer vorgeben, um die Bilder und Figuren so klar und rasch wie möglich zu formen. Denn das Publikum darf nicht lange über sie rätseln, soll sofort erkennen, ob es sich um eine Blume, einen Elefanten oder einen Pferdemann handelt.

In der Begegnung mit dem Kentauren lernt das Hundemädchen die Liebe kennen. "Beide sind sich ähnlich, halb Mensch, halb Tier." Dann sagt Molly Gawler einen Satz, der aus ihrem Mund komisch und paradox klingt. "Das Hundemädchen mit seinem Tierkopf ist auch eine Metapher für die Maske, die wir alle tragen. Und dass man auch Schönheit im Unvollkommenen, im Unperfekten, das man in sich trägt, entdecken kann." Ihre Darstellung und Verkörperung des im Traum verwandelten Mädchens lässt jedoch an Anmut und Perfektion nichts zu wünschen übrig.

"Shadowland" Di 4.9., 20.00, Kampnagel (Bus 172/173), Jarrestr. 20-24, weitere Vorstellungen bis 23.9., Karten zu 37,90 bis 67,50 unter T. 47 11 06 66