Karsten Flohrs Roman “Leah - eine Liebe in Hamburg“ erzählt Geschichten aus dem Grindelviertel in der Zeit der Judenverfolgung.

Hamburg. Wie muss das damals hier gewesen sein? Was hat sich in den Straßen des Grindelviertels täglich ereignet? Karsten Flohr, 61, der als Student in der Bornstraße 22 wohnte, hat sich diese Fragen immer wieder gestellt. Irgendwann entstanden im Kopf des Hamburger Autors bei seinen Spaziergängen durch die Straßen Bilder von damals. Und nun wurde daraus eine Geschichte.

"Leah - eine Liebe in Hamburg" ist eine ergreifende Erzählung über die Zeit, als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht an sich rissen. Als sie die Juden erst aus ihren Wohnungen vertrieben, sie dann im Grindelviertel in den sogenannten Judenhäusern unterbrachten und schließlich von der Moorweide mit Lastwagen zum Hannoverschen Bahnhof brachten. Von hier wurden die Menschen mit Zügen in die Konzentrationslager nach Osten gefahren und dort umgebracht.

Im Sommer vor 70 Jahren erfolgte der erste Transport von Hamburg nach Auschwitz. Im Juli 1942 wurden 300 Hamburger Juden in das Konzentrationslager deportiert. Im Herbst des Vorjahres waren bereits mehr als 3000 Juden aus Hamburg nach Lodz, Minsk und Riga transportiert worden, wo sie fast alle den Tod fanden. Karsten Flohr ist der Frage nachgegangen, wie es dazu kommen konnte, dass die Menschen wussten, "da ist etwas nicht in Ordnung, sich dann aber nicht weiter darum gekümmert haben".

Karsten Flohr hat ein interessantes Stilmittel für seine Erzählung gewählt - den Wechsel von Tagebuch und Dialog zwischen einem Großvater und seinem Enkel. Und gleichzeitig ist sein Hamburg-Roman eine Mischung aus Fiktion und Fakten. Wilhelm Bluhm, Sohn eines Hafenarbeiters, und seine Jugendliebe Leah Liebling, Tochter eines Reeders aus Blankenese, die im Dezember 1941 eine Tochter bekommen, sind erfundene Figuren. Andere Personen sind, genau wie sämtliche Zahlen und Ereignisse, real. So wie Karl Kaufmann, Gauleiter der NSDAP, und Willibald Falck, Leiter der Sonderdienststelle Zwangsarbeit beim Arbeitsamt. Wie der Oberrabiner Joseph Hirsch Carlebach und Martin Heinrich Corten, ab 1940 Leiter des Israelitischen Krankenhauses. Wie Ida Dehmel, Vorsitzende von Künstlervereinen, die in Blankenese lebte und 1937 Selbstmord beging, und Herbert Michaelis, Kommunist und Jude, der 1937 versuchte, die Rüstungsexporte nach Spanien publik zu machen, und zwei Jahre später wegen Hochverrats hingerichtet wurde.

Eine der ersten Tagebuch-Eintragungen datiert vom 5. Mai 1928. Der Tag, an dem es in Altona bei den Straßenschlachten fünf Tote gab. "Die Braunen und die Roten haben diesmal nicht nur mit Stuhlbeinen aufeinander eingeschlagen, sondern es wurde geschossen." Zum ersten Mal, erzählt Wilhelm Bluhm seinem Enkel bei einem Glas Rotwein, zu dem sie sich regelmäßig am Freitagabend treffen.

Am 5. März 1933, dem Tag der Reichstagswahl, griffen die Nazis nach der Macht in Hamburg. "Und von dem Tag an räumten sie auf", lässt Karsten Flohr seinen Protagonisten Wilhelm Bluhm sagen. Altonas "Bürgermeister Max Brauer stand ganz oben auf ihrer Liste. Er ist untergetaucht." Flohr schildert den schleichenden Prozess des um sich greifenden Rassismus und der Vertreibung anhand von alltäglichen Szenen einer Liebe zwischen zwei jungen Menschen, die sich den braunen Verbrechern widersetzt. Sonntag, 26. Januar 1936. Leah und Wilhelm sind 14 Jahre alt. "Wir haben uns angefasst, als wir am Wasser entlanggegangen sind. Wir haben unsere Handschuhe ausgezogen, damit wir uns fühlen konnten. Als wir uns auf unsere Lieblingsbank am Schiffsanleger an der Elbe setzen wollten, war da ein neues Schild an der Lehne, auf dem stand, dass Juden hier ab sofort nicht sitzen dürfen. 'Aber du bist ja bei mir, außerdem bin ich nur Halbjüdin', sagte Leah und setzte sich. 'Auf diese Weise sitzt hier nur ein Viertel von einem Juden.' Ich habe mich dazu gesetzt und gesagt: 'Außerdem weiß es keiner. Man sieht es ja nicht.'"

Vorher hatte Leah erzählt, dass wieder neue Mädchen in ihre Klasse gekommen sind. Von verschiedenen Schulen, wo sie als Juden nicht mehr erwünscht sind. "Es war wohl nicht schön für sie in den öffentlichen Schulen." Auch Wilhelm erzählt von seinem Lehrer, der eines Tages den kleinen David aus der Stunde schmeißt mit den Worten: "Du bist auch so einer. Ihr habt unser Land auf dem Gewissen. Geh raus, ich will dich heute nicht mehr sehen in meiner Klasse." Und später reimt Dr. Göttert vor seinen Schülern: "Mandelbaum und Grünhut sind nicht mehr da - die fahren nach Amerika." Dann versichert er: "Bald sind sie alle weg." Und anschließend heißt es: "Hefte raus. Jeder schreibt einen Brief an unseren geliebten Führer. Thema: Warum ich mein Leben dem Vaterland widme."

Lebten 1933 noch rund 17 000 Juden in Hamburg, waren es zehn Jahre später nur noch etwa 1000. Viele sind ins Ausland emigriert, aber es gab auch erfolgreiche Hamburger Kaufleute, wie Leahs Vater Samuel Liebling, die geblieben sind. Weil sie wohl die Augen davor verschlossen, was um sie herum ab 1935 passierte. Als Juden nicht mehr in den öffentlichen Dienst gelassen wurden und nicht mehr wählen durften. Nicht mehr ins Theater und ins Kino konnten. Ab Juli 1937 Kennkarten bei sich tragen mussten, und ein Jahr später das Berufsverbot für jüdische Ärzte und Anwälte folgte. Im August 1938 wurden die Zweitnamen "Israel" und "Sara" Pflicht. "Arische" Frauen wurden aufgefordert, sich von ihren jüdischen Männern zu trennen. Jüdisches Vermögen wurde anmeldepflichtig, sie mussten ihre Immobilien verkaufen. Ab Januar 1939 ist es den Juden verboten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, im April 1939 wurde die freie Wohnungswahl für Juden aufgehoben, im September 1941 wird der "Judenstern" Pflicht.

Karsten Flohr hat soeben mit "Zeiten der Hoffnung" (Suhrkamp/Insel, 14,99 Euro) einen Roman über eine Liebe im Ersten Weltkrieg veröffentlicht. Im September erscheint "Leah - eine Liebe in Hamburg" bei Hey-Publishing als E-Book (7,90 Euro). Ein Stück Hamburger Geschichte wird davor bewahrt, in Vergessenheit zu geraten.