Die Großväter der kubanischen Musik kehren mit “The Bar At Buena Vista“ nach Hamburg zurück. Vorab gastierten sie in einer Bar in St. Georg

St.-Pauli-Theater. Vielleicht war es für den ersten Mojito noch etwas zu früh am Abend. Draußen schien wie verrückt die Hamburger Sommersonne, drinnen, am hinteren Ende der mit dunklem Holz vertäfelten Bar des Hotels Reichshof, saßen zwei piekfein angezogene alte Herren bei gedämpftem Licht, eingehüllt in den Rauch einer Zigarre und in ihr Schweigen. Irgendwann stand der mit dem Pepitahut auf dem Kopf auf, ging rüber zum Flügel, setzte sich auf den Klavierhocker und begann zu spielen. Da bekam der Strohhalm außer Minzblättermatsch auf dem Boden des Glases schon nichts mehr zu fassen. Der Mojito strömte bereits durch die Blutgefäße und erweiterte die Sinne.

Kaum erfüllten die ersten Klänge den Raum, schien das weiche Licht der Lampen plötzlich in einem anderen Raum zu scheinen, in einem anderen Land, in einer anderen Zeit. Der Klavierspieler erzählte auf den Tasten von mondänen Nächten unter Sternen, seine Musik schaukelte und schwankte, die Töne wirbelten wie Glühwürmchen, die rechte Hand ließ die Saiten in einem Tremolo klingeln. Der Rhythmus lief wie Wurzeln unter der Erde der Akkorde, ein Labyrinth, das jeder spürte und das doch keiner sah. Es lag mehr als ein Hauch "Play it again, Sam" in der Luft.

Und dann stand der andere Alte auf, der mit der weichen, eleganten Schiebermütze. Mit der linken Hand hielt er das Mikrofon fest umschlossen, damit brachte er das Zittern unter Kontrolle. Seine Augen schützte er mit einer Sonnenbrille, vielleicht hat er genug gesehen in seinem Leben. Reglos stand er da und sang das Liebeslied von den zwei Gardenien für dich, wahrscheinlich zum hunderttausendsten Mal. Die Stimme, die schon 94 kubanische Sommer erlebt hat, klang fest, das Zittern der Hände kann ihr nichts anhaben.

Beim zweiten Lied begann er fast unmerklich zu tanzen. Die Füße in den schlanken Schuhen aber blieben auf dem Boden. Sie schillerten vom dunklen Parkett wie Leguane in der Sonne. Dann setzte er sich wieder hin und bat, seine Stimme zu entschuldigen. Er habe die Grippe. Jemand zündete ihm die erkaltete Zigarre wieder an. Rauch hat noch keiner Grippe geschadet.

Nach dem zweiten Mojito setzte so etwas wie ein Mitleidsreflex ein. Die beiden Alten, die hier die Show "The Bar At Buena Vista" bewerben, die ab Freitag einen Monat lang im St.-Pauli-Theater läuft: Werden sie nicht vorgeführt wie betagte Zirkuspferde, denen man keine Ruhe gönnt? Sollten sie nicht lieber bei sich zu Hause in Santiago de Cuba oder Havanna auf der Veranda in der Hollywoodschaukel sitzen und ab und an ein gekühltes Getränk zu sich nehmen, statt den Produzenten ihrer Show reich zu machen? Aber Mitleid ist völlig überflüssig, denn natürlich nahmen Guillermo Rubalcaba Gonzales und Reynaldo Creagh auch diese jüngste beschwerliche Reise aus Kuba wieder aus freien Stücken auf sich. Seit der Schotte Toby Gough sie vor zehn Jahren für die erste "Buena Vista"-Show zusammenbrachte, erleben die beiden Musiker einen andauernden Karrierefrühling im tiefsten Lebenswinter.

Das Gütesiegel Buena Vista Social Club verschafft den Gough-Shows mit den kubanischen Seniorenmusikern und -tänzern in vielen Ländern Europas, in Asien und in Australien volle Häuser. Bis 1997 scherte sich niemand um Buena Vista, den Stadtteil von Havanna, und dass es dort einen Social Club gab, in dem musiziert und getanzt wurde, stand höchstens mal in einem Reisebuch. Durch eine Reihe vorzüglicher Alben unter der Regie des amerikanischen Blues-Gitarristen Ry Cooder und veredelt vom gleichnamigen Dokumentarfilm von Wim Wenders (1999), wurde Buena Vista bei uns zum Synonym für Wärme, für träge Sinnlichkeit und eine so ganz undeutsche Freude am Dasein.

Von den Musikern, die damals mit Ry Cooder im Studio waren, sind inzwischen viele tot. Auch der Original-Barmann des Social Club, der Toby Gough zur ersten seiner "Bar"-Shows inspirierte und sich dort selbst spielte, mixe seine Mojitos inzwischen im Himmel, heißt es stimmungsvoll zur Begründung, weshalb Gough die Rolle des Barmanns nun selbst übernommen hat. Rubalcaba war immer Musiker, Creagh hat jahrzehntelang als Schaffner sein Geld verdient. Denn als Fidel Castro 1959 aus Kuba die kommunistische Enklave der Karibik machte, konnte man vom Singen schöner alter Sons und Rumbas nicht mehr leben - die Touristen blieben aus, Nachtklubs und Bars mussten schließen. Aber für eine lange Spätkarriere bringt Reynaldo, der erst mit 76 als Sänger der Vieja Trova Santiaguera berühmt wurde, gute Gene mit. Seine Mutter wurde 105 Jahre alt.

The Bar At Buena Vista, Fr, 31.8. 20.00 (Premiere), Vorstellungen bis 30.9., St.-Pauli-Theater (S Reeperbahn), Spielbudenplatz, Tickets zu 14,70 bis 58,70 unter T. 47 11 06 66

Entdecken Sie Top-Adressen in Ihrer Umgebung: Theater in Hamburg-St.Pauli