Man muss schon “Unrockbar“ sein, um daran keinen Spaß zu haben: “ Die beste Band der Welt“ begeistert zwei Konzerte lang auf der Trabrennbahn.

Hamburg. Wann ist man noch Ärzte-Mitläufer, und wann ist man Ärzte-Fan? Ich glaube, nach acht Konzerten der besten Band der Welt aus Berlin habe ich mir Fan-Status erarbeitet. Aber was ist schon Arbeit am Freitag auf der Bahrenfelder Trabrennbahn? Es ist drei Stunden langes Mitsingen, Mithüpfen und Mitschreiben - der von Bier, Schweiß und Freudentränen verschmierte Notizzettel ist nach der letzten Zugabe "Dauerwelle vs. Minipli" so lang wie die Schlangen an den Shuttlebussen, die 12 000 euphorisierte Fans zwischen sieben und 70 Jahren zurück in den Alltag fahren.

38 Lieder spielen die Ärzte beim ersten von zwei Open-Air-Konzerten an der Luruper Chaussee. Sie könnten auch 50 Lieder schaffen, vielleicht noch mehr alte und neuere Klassiker wie "Elke", "2000 Mädchen" oder "Ein Lied für dich" hervorzaubern. Aber Bela B., Farin Urlaub und Rod Gonzales wären nicht Die Ärzte, wenn sie nicht den minutenlangen Hang zur "ZeiDVerschwÄndung" hätten: "Wir reden nicht nur, wir spielen heute auch Musik zwischen den Ansagen", ist eins von Farins Bonmots, die die seit 30 Jahren bestehende Faszination von Ärzte-Konzerten gut beschreiben. Kein Auftritt gleicht dem anderen.

+++ Die Ärzte: Elektrische Gitarren und immer diese Texte +++

Darum kommen sie in Scharen. Zu unterscheiden sind die Besucher oft nur an den Codices auf ihren T-Shirts: "DBBDW" steht für die beste Band der Welt, klar. "DÄFC" für: Die Ärzte Fanclub. Aber das "38 b", das auf den sackweise am "Zubehörstand" verkauften Leibchen steht, muss ich nachschlagen. Es soll für die Niebuhrstraße 38 b in Berlin stehen, wo Farin und Wahlhamburger Bela in den 80ern residierten. Echte Fans wissen das natürlich.

Und die echten Fans sind durch drei Jahrzehnte gut gedrillt, sie folgen in blindem Gehorsam, gestählt durch Whiskey, Bier und Vollmilch, Weißbrot und Orangensaft. "Arme hoch", ruft Farin. Und 24 000 Arme recken sich den bejubelten Flugzeugen entgegen, die Die Ärzte für minütliche Überflüge extra bestellt haben wollen. "Ich wäre ein großartiger Bankräuber", freut sich Farin über den wogenden Wald der Arme. Aber zwischen Mitbrüllspielen ("A! E! I! O! U!") und anderen Interaktivitäten ("Menschen mit gutem Musikgeschmack können jetzt auch mal eine Frau hochheben") spielen BelaFarinRod tatsächlich auch Musik. Ohne Ende und ohne Gnade, wie es einem echten "Popstar" geziemt.

Die Beiträge des aktuellen Albums "auch" wie "Ist das noch Punkrock?", "Sohn der Leere", "Waldspaziergang mit Folgen" und "Cpt. Metal" verbrüdern sich mit Songs der nach der Wiedervereinigung 1993 eingeläuteten zweiten Bandphase wie "Schunder-Song", "Wie es geht", "1/2 Lovesong" oder "Schrei nach Liebe". Auch die 80er-Jahre, in denen Rod noch bei den Rainbirds und den Goldenen Zitronen spielte, kommen mit "Grace Kelly", "Westerland", "Ist das alles?" und "Zu spät" zu ihrem Recht. "Die Ärzte-Hits der 80er und 90er und die Reste von heute", wie der Nebenmann selig und ausgiebig johlt.

"Hip, hip, hurra, alles ist super, alles ist wunderbar": Man muss schon "Unrockbar" sein, um daran keinen Spaß zu haben. Oder strenge Eltern: "Elektrische Gitarren und immer diese Texte: Das will doch keiner hören. Was sollen die Nachbarn sagen?", wie es in "Junge" heißt. Gute Eltern bringen ihren Nachwuchs mit nach Bahrenfeld und schulen die nächste Fangeneration. Die weiß vielleicht nicht mehr, was ein Tamagotchi ist, und kennen auch nicht die nur kurz angespielten Akkorde des letzten verbotenen Ärzte-Lieds "Geschwisterliebe", aber sie werden erbarmungslos punken und wissen: Du sollst keinen Rod haben neben dir.

Es gibt Bands, die live noch für mehr Alarm sorgen, wie die Beatsteaks aus Berlin. Die vielleicht weniger albern sind, wie die Toten Hosen aus Düsseldorf. Aber schon Lokalheld Der König tanzt alias König Boris von Fettes Brot sieht am Freitag im Vorprogramm alt aus im Vergleich mit den ewigen Teenagern, die ihren Support bei "Wir sind die Besten" auf die Bühne einladen. Vielleicht nur aus Verbundenheit, vielleicht, um zu zeigen, wie es geht.

Aber "Lasse redn", ein Abend wie der am Freitag ist einfach "Perfekt". Der Himmel ist blaugrau, und der Rest unseres Lebens liegt vor uns. Mit hoffentlich noch vielen, vielleicht Dutzenden Konzerten, die den ewigen Auflösungsgerüchten spotten.

Schließlich gilt es noch viel Verpasstes aufzuholen, wie ich leider dann am Sonnabend in der "Queen Calavera"-Bar feststellen muss. Die Inhaberin kommt gerade vom zweiten, ausverkauften Trabrennbahn-Auftritt von Bela, Farin und Rod. "Das war mein 108. Ärztekonzert", erzählt sie mit souveräner Gelassenheit. Dem Mitläufer, wie es aussieht.