Beim Sommerfestival auf Kampnagel waren Kontraste Programm - mit zahlreichen Beiträgen zum diesjährigen Schwerpunkt “Grenzen des Wachstums“.

Hamburg. Das Nachdenken über eine andere Welt kann zu Kopfschmerz führen. Erst recht, wenn man Kurze gegen die Krise einsetzt. Für jedes ökologische Versprechen, einen Tag ohne Shopping, einen Monat ohne Steak, verkosten Davis Freeman und sein Kompagnon Jerry Killick zur Belohnung einen Schnaps. Ihre Performance "7 Promises" ist herbes Moritaten-Entertainment, allerdings ein willkommener Ausklang eines langen Marathontages. Acht Stunden träumen von der perfekten postkapitalistischen Utopie unter dem Motto "Ausgewachsen" beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel liegen hinter den Besuchern.

Wissenschaftler wie der Oldenburger Ökonom Niko Paech wollen zum Festival-Schwerpunkt "Grenzen des Wachstums" die Industrie zurückbauen und die Bedürfnisse herunterschrauben. Kathrin Röggla demonstriert in einer Diashow, wie ein kosovarisches Erzbergwerk für Investoren fit getrimmt wird, dabei überwuchert längst die Flora die Ruine, und Peter Licht singt "Lieder vom Ende des Kapitalismus". Im Halbstundentakt aufgereiht, können die Positionen zwischen Wissenschaft und Wahnsinn zwar nur Schlaglichter liefern. Bei manchem aber brennt der Wodka die Denkanstöße richtig schön in die Hirnwindungen.

Unsicherheit in der kapitalistischen Umbruchsgesellschaft, die Schwierigkeit, seinen gesellschaftlichen Platz zu finden - das gibt Anne Teresa De Keersmaekers Tanztheater "Elena's Aria" von 1984 aktuelle Bezüge. Mehrmals fegt ein Sturmwind die Tänzerinnen auf die im Bühnenhintergrund aufgereihten Stühle. In Filmbildern zeigt die Ausnahmechoreografin - sie tanzt mit über 50 in Hochform mit - Sprengungen von Gebäuden. Das schützende Alte fliegt buchstäblich in die Luft. Hochhäuser sacken in sich zusammen wie die Körper in den Sitzen oder auf dem Boden. Die Bewegungsbilder projizieren die Rast- und Ruhelosigkeit der Globalisierung in den privaten Gefühlskosmos.

Das erfordert ein Einlassen der Zuschauer. Störend und unhöflich verließen sie schubweise und in unpassend leisen Momenten den Saal. Sie hätten das persönliche Drama einer Frau entdecken können, die auf den Geliebten wartet, der sie verließ.

"Elena's Aria" könnte auch Elenas Klagelied heißen. Doch Sentimentalität ist nicht Keersmaekers Sache, vielmehr die exakte Konstruktion der Choreografie in geometrischen Linien und ihre Verschiebungen vom Bühnenhintergrund zur Rampe. Als Kunstakt in der präzisen Ausführung durch die fünf Tänzerinnen ist das allein schon ein Erlebnis, wie auch der Gestentanz an der Rampe zum Schluss, mit dem die Erschöpften ihren Platz behaupten.

Stille, Innehalten und Pausieren gehören auch zum musikalischen Kompositionsprinzip von Jolika Sudermann und Alma Söderberg. Das Duo parodiert charmant, gewitzt und supermusikalisch in "A Talk" die Unfähigkeit zu Schweigen und die Talkmanie der Medien und Quasselsucht mancher Zeitgenossen. In den choreografischen Experimenten mit gesellschafts- und zeitkritischen Bezügen spiegeln sich zentrale Aspekte des letzten Programms von Matthias von Hartz - wie auch in den Projekten von Árpád Schilling, Lola Arias und Rimini Protokoll.

Internationales Sommerfestival bis 25.8., Kampnagel, Jarrestraße 20-24, www.kampnagel.de