Internationale Theatermacher erforschen den politischen Schwerpunkt “Grenzen des Wachstums“ beim Internationalen Sommerfestival.

Hamburg. Auf Kampnagel ist die Kunst neuerdings organisch. Am einen Ende der Hallen schlägt dem Besucher der Geruch des Getreideteigs aus der von Schweinen verwüsteten Boden-Installation "The Hellenic Peninsula Devoured by Pigs" von Santiago Sierra entgegen. Und auch am anderen Ende duftet es merkwürdig naturhaft, feststofflich. Dort liegt in einer Halle ein riesiger Vorhang aus Jute, angefüllt mit Stroh, darauf wachsend seltsame weiße, verästelte Gebilde - Pilzkulturen.

Was haben Pilze mit Kunst zu tun? Einige ganze Menge, wenn man die Macher des britischen Theaterkollektivs Laboratory of Insurrectionary Imagination, kurz Labofii, befragt. Isabelle Fremeaux blickt durch dicke Brillengläser. John Jordan murmelt leise durch seinen Vollbart unter der Anarchistenkappe. "Wir verstehen uns als Artisten und Aktivisten", sagt er. "Wir suchen den Raum dazwischen, wollen Imagination, Kreativität, eine poetische Art zu denken verbinden mit dem Mut zu handeln, eine neue Kultur zu etablieren."

Und diese Kultur soll wachsen wie die Austern-Seitlinge. Mancher wird in diesen Idealisten realitätsferne Träumer sehen. Aber dann wären sie nicht hier, auf dem Sommerfestival Hamburg, das einer der radikalsten Kreativen der deutschen Theaterszene kuratiert: Matthias von Hartz. Für den ernsthafte Analyse und Reflexion die Grundbedingungen jeden (performativen) Handelns sind. Das Thema von Labofiis Performance-Intervention in drei Akten, "What is enough?", die am 24. August ihren Höhepunkt erreicht, sticht ins Herz des politischen Schwerpunkts des diesjährigen Festivals.

Kann es in Zeiten von Krisen und knapperen Ressourcen so weitergehen mit dem wirtschaftlichen Wachstum? Ist das überhaupt notwendig für den Wohlstand aller? Diese Frage beschäftigt Volkswirte seit Langem. Vor 40 Jahren bereits hat der Club of Rome die Studie "Grenzen des Wachstums" aufgelegt. Wohlstand ohne Wachstum ist möglich, sagen auch Jordan und Fremeaux. Der Pilz-Vorhang, hingebungsvoll betreut von einer jungen Frau, die nur noch "Mushroom-Katy" genannt wird, ist so etwas wie eine Metapher dafür. Denn direkt daneben sorgt ein Baum aus feinen, unsichtbaren Mykorrhiza-Fäden für Vernetzung. Im Wald erstrecken sich solche Fäden von Baum zu Baum. Helfen sich gegenseitig in symbiotischen Beziehungen. Sie versorgen die Bäume mit Nährstoffen und erhalten ihrerseits durch Fotosynthese der Bäume erzeugte Kohlehydrate. Ein Beispiel für die sogenannte Permakultur - fußend auf der Grundidee, dass Ökosysteme wie ein Wald oder eine Prärie als Vorbild dienen können, menschliche Lebensräume zu gestalten, und zwar energieeffizient, robust, vielfältig und produktiv.

Ein anderes Leben ist für Fremeaux und Jordan möglich und durchaus nicht sinnlos. Die Natur, nicht die Technik, wird uns retten, ist ihr Diktum. Mit Mitstreitern haben sie Protestcamps etwa in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow organisiert. Sie haben ihre sicheren Universitätsjobs gekündigt und sind von London in eine Landkommune in der Bretagne gezogen. Ihr Netzwerk reicht bis zu einer Geheimgesellschaft, die seit 1812 besteht. "Die Zukunft ist nicht mehr, was sie mal war", stellen sie ihrem am 22. August im Hamburger Nautilus-Verlag erscheinenden Buch "Pfade durch Utopia" (inkl. DVD) voran. Das klingt desillusioniert, ist der Gruppe aber nur Ansporn zu einem pragmatischen Utopismus. Eingedenk der Tatsache, dass der von dem britischen Philosophen Thomas Morus kreierte Begriff Utopia erst einmal einen Nicht-Ort beschreibt.

Das Buch, eine Art Reisetagebuch, das sie zu elf alternativen Projekten führte, von Arbeitern, die eine Fabrik im serbischen Zrenjanin besetzt haben, bis zu Schülern einer anarchistischen Schule in Spanien, ist im Ton zwar manchmal arg romantisch verklärt, das Werk und der begleitende Film vermitteln aber sehr gut, dass es da etwas gibt, was viele von uns nicht für möglich halten würden: ein selbst bestimmtes Leben in Gemeinschaft.

Und dazu braucht es nicht viel Geld. Nicht jeder hält das durch, die, die es tun, berichten von so etwas wie Glück. Doch die Mechanismen des Kapitalismus von Wettbewerb und Wachstumszwang zu unterlaufen ist unpopulär. Niemand verdient daran.

Labofii bleiben also vorerst die Zwischenräume der Kunst und der Aktion. "Für uns muss Politik immer auch mit Vergnügen zu tun haben", sagt Jordan. "Man muss die Veränderung lieben." Was genau mit den Pilzen passieren wird, darüber hüllen sie sich noch in Schweigen. "Es wird ein Abenteuer."

Mittel von Aktion und Performance kombinieren auch die Mitglieder des Hamburger Schwabinggrad-Balletts. Zweimal sind sie für je zwei Wochen ins krisengeschüttelte Griechenland gereist. Sie haben an einer Demonstration gegen das zweite Memorandum mitgewirkt, einen Blog ins Netz gestellt und mit Gewerkschaftern und Gruppierungen gesprochen. "Wir lehnen diese Haltung ab, dass die EU sagt, wir geben euch Geld gegen ein bestimmtes Verhalten", sagt Mitglied Charalambos Ganotis. Die gewonnenen Erkenntnisse teilen sie bis zum 18. August auf einem Camp, dem "Platz der unbilligen Lösungen", im Park Fiction am Hafen mit Freiwilligen. "Jeder ist willkommen, sein Zelt oder seinen Wohnwagen dort aufzustellen." Die Agitprop-Aktivisten laden Filmemacher, Künstler und Aktivisten zum Dialog, unter anderem am 18. August zu einer Mitternachtsversammlung.

Beim Sommerfestival zumindest wächst sich das Thema "Grenzen des Wachstums" am 18. August sogar zu einem Marathontag unter dem Titel "Ausgewachsen" aus mit Lectures, Vorträgen und Liedern. Und noch bis zum 24. August zu einem Pilz-Vorhang.

The Laboratory of Insurrectionary Imagination - Labofii: "What is enough?" 24.8., 19.00, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Eintritt frei; Schwabinggrad-Ballett: "Platz der unbilligen Lösungen" 17.8./18.8., jew. ab 11.00, Park Fiction, Antonistr./Hafenstr., Eintritt frei, Infos: www.schwabinggrad-ballett.posterous.com ; "Ausgewachsen. Ein Marathon mit 11 Perspektiven zu Wachstum" 18.8., ab 16.00, Internationales Sommerfestival Hamburg 2012, bis 25.8., T. 27 09 49 49, www.kampnagel.de ; Film- und Buchpräsentation "Pfade durch Utopia" 29.8., 20.00, Abaton-Kino, Allende-Platz 3