Gebäude sind lebendige Wesen für die Maori, die Ureinwohner Neuseelands. Zurzeit restaurieren sieben von ihnen das wertvolle Maori-Haus.

Hamburg. Ist es Konzentration oder Meditation? Behutsam und ganz langsam zieht die Frau einen Faden aus Naturfasern zwischen die Holzelemente eines der Wandpaneele, die sie gerade ausbessert. Sie ist ganz bei sich und ihrer Arbeit, nimmt kaum wahr, dass Besucher im Raum sind und sie beobachten. Sie gehört zu der siebenköpfigen Gruppe neuseeländischer Experten, die noch bis Ende August die einzelnen Elemente des Maori-Hauses im Museum für Völkerkunde restaurieren. Es befindet sich seit 100 Jahren hier und ist das vielleicht kostbarste Objekt des Museums. Ab dem 7. Oktober soll es glanzvoll und völlig neu präsentiert und endlich europaweit bekannt gemacht werden.

In Neuseeland schätzt man das Hamburger Maori-Haus sehr. Deshalb sind die Restauratoren und Schnitzer des New Zealand Historic Places Trust und der Webschule des New Zealand Maori Arts and Crafts Institute jetzt hier. Dass sie Tätowierungen am Körper tragen, hat nichts mit Mode zu tun, sondern mit Tradition. Für sie alle ist die Arbeit in Hamburg eine Begegnung mit der eigenen Geschichte, denn sie sind selbst Maori, Angehörige der neuseeländischen Urbevölkerung. Und daher vertraut mit der Religion und der Kultur, die das Hamburger Maori-Haus einst hervorgebracht haben.

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Aber keiner der Restauratoren, die in diesen Tagen in einem nicht leicht zu findenden Raum im verschachtelten Völkerkundemuseum an der Restaurierung arbeiten, spricht vom Maori-Haus. Für sie ist es Rauru, benannt nach einem wichtigen Ahnen, der vor sehr langer Zeit gelebt hat und der in diesem Haus weiterlebt.

Jedes Versammlungshaus der Maori trägt einen Namen und symbolisiert damit selbst einen Menschen. Und wie jedes Versammlungshaus hat Rauru Arme und Hände, wofür die Seitenteile des Dachs stehen, mit dem Dachfirst ein Rückrat und - besonders wichtig - ein Gesicht. Das ist die Maske auf der Dachspitze.

Während seine Kollegen weiterarbeiten, geht Jim Schuster hinüber in den vorläufig noch stockdunklen Raum, in dem das mit Schnitzereien reich verzierte Maori-Haus steht. Hier bessert er das Dach neu mit Raupo aus, einer schilfartigen Pflanze, die vor einigen Monaten eigens in Neuseeland dafür geerntet und per Container in den Hamburger Hafen transportiert worden ist. Er erzählt, wie viel in den nächsten Tagen noch zu tun ist, und erklärt dann, was Rauru für ihn und seine Kultur bedeutet. "Wir empfinden tiefen Respekt vor Rauru, denn wir spüren seine spirituelle Dimension", erklärt er.

Das kam ganz unmittelbar zum Ausdruck, als die Maori am 12. August in Hamburg eintrafen. Vor Arbeitsbeginn hat Jim Schuster das Haus begrüßt, hat es angesprochen wie einen Menschen und erklärt, was in den nächsten Wochen mit ihm passieren wird. Jim Schuster trägt einen deutschen Familiennamen, weil einige seiner Vorfahren aus Samoa kamen, das bis 1914 deutsche Kolonie gewesen ist. Über die Mutter kann er die Linie seiner Vorfahren bis zu Tene Waitere zurückverfolgen, einem jener begabten Schnitzer, die das Haus in der Zeit um 1900 fertigstellten.

Es ist eine außergewöhnliche und dramatische Geschichte, die sich mit dem Bau von Rauru verbindet - eine Geschichte um Leben und Tod. Te Waru, eine bedeutende Persönlichkeit in der Maori-Gesellschaft, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts geheiratet und wollte zu Ehren seiner schönen jungen Braut ein whare whakairo bauen lassen, ein reich mit Schnitzereien verziertes Versammlungshaus voller religiöser Symbolik. Der Bau schritt voran, aber Te Waru näherte sich dem Ahnenhaus nicht mit dem gebotenen Respekt. Als er entgegen dem Rat eines Priesters die Schnitzarbeiten trotzdem fortsetzen ließ, starb seine junge Frau. Doch Te Waru hatte sich offenbar bereits so weit von den Traditionen seines Volkes entfernt, dass er den Zusammenhang zwischen dem Tod seiner Gattin und dem Zorn der Geistwesen nicht begriff. Nach einiger Zeit heiratete er erneut und ließ das Haus weiterbauen. Wiederum starb seine Frau. Erst nachdem seine dritte Frau und ein gemeinsames Kind dem negativen Zauber des Hauses zum Opfer gefallen waren, gab der Bauherr sein Vorhaben endgültig auf.

Das weitgehend fertiggestellte Gebäude blieb nun jahrzehntelang unbeachtet, bis sich der in Neuseeland lebende schwedische Hotelier Charles Nelson dafür interessierte und es erwarb. Nelson beauftragte den damals noch jungen Schnitzkünstler Tene Waitere und einige seiner Kollegen mit der Fertigstellung. Anders als in den früheren Versammlungshäusern stellten sie nicht mehr nur die Ahnen der ethnischen Gruppe der Arawa dar, der Te Waru angehört hatte, sondern darüber hinaus auch wichtigen Mythen der Maori. Eingeweiht wurde das Haus im Jahr 1900. In einer festlichen Zeremonie erhielt es damals auch den Namen Rauru. Mit einer komplizierten Beschwörungsformel bemühten sich zwei Priester darum, den Fluch der Gottheiten künftig zu bannen.

Als auch sie kurz danach unter merkwürdigen Umständen starben, zog es auch Charles Nelson vor, sich von Rauru zu trennen. Zunächst bot er das Kunstwerk der neuseeländischen Regierung zum Kauf an, später dem internationalen Kunstmarkt. Georg Thilenius, der Gründungsdirektor des Hamburger Völkerkundemuseums, hatte großes Interesse. Er erkannte sofort den herausragenden Wert und erwarb das Haus für den damals gewaltigen Betrag von 35 000 Reichsmark. Der vor 100 Jahren fertiggestellte Neubau des Museums an der Rothenbaumchaussee war von Anfang an so konzipiert, dass Rauru einen besonderen Platz erhielt.

Jim Schuster kennt diese Geschichte, schon als Kind besuchte er den leeren Platz in Rotorua, wo das Haus einst gestanden hat. Dass er und seine Kollegen jetzt mit dazu beitragen, Rauru in Hamburg neu zu präsenteren, weiß er sehr zu schätzen. "Da Tene Waitere zu meinen Vorfahren gehört, empfinde ich es als eine Ehre, an der Erhaltung seines Werkes heute mitwirken zu können", sagt der 60-jährige Maori. Findet er es richtig, dass Rauru nicht mehr in Neuseeland, sondern in Hamburg steht? "Rauru befindet sich schon mehr als 100 Jahre in Hamburg und hat sich daran gewöhnt", sagt er lächelnd. Er spüre auch, dass man das Haus hier mit Respekt behandelt. Und auch die bevorstehende neue Präsentation hält er für sehr gelungen. "Früher stand Rauru in einem dunklen Raum und wirkte ziemlich gespenstisch. In Zukunft wird es bei Tageslicht zu erleben sein, was seinem Charakter viel besser entspricht. Wichtig ist auch, dass durch die neuen Wandbilder künftig eine Anbindung an seine ursprüngliche Umgebung angestrebt wird. So entsteht hier tatsächlich ein Stück Neuseeland mitten in Hamburg, was sicher das Interesse an unserer Kultur noch erhöhen wird."

Als wir in den Arbeitsraum zurückkehren, wo Schusters Kolleginnen und Kollegen noch immer an den Wandpaneelen arbeiten, zeigt er auf die Raupo-Bündel, mit denen er gleich darauf das Dach neu eindecken wird. Glaubt er, dass sich Rauru in Hamburg wohlfühlt?

Einen Moment lang denkt er nach, dann sagt er lächelnd: "Rauru hat in Hamburg eine lange Geschichte hinter sich. Und dabei ganz sicher nichts von seiner spirituellen Kraft verloren. Wie hätte es sonst das 20. Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und so unvorstellbaren Zerstörungen unbeschädigt überleben können?"

Die festliche Neueröffnung des Maori-Hauses findet am 7. Oktober statt. Aus diesem Anlass wird auch im Südseesaal eine Foto-Ausstellung über die Kultur der Maori zu sehen sein.