Ab Donnerstag macht Mummenschanz in Hamburg Station: Nonverbale Kommunikation in Zeiten digitaler Dauerbeschallung.

Hamburg. Wer Floriana Frassetto und Philipp Egli beim Reden zusieht, der versteht sie auch ohne Worte. Sie ist mit ihren 61 Jahren ein mimisches Spiel an Lebenserfahrung, er - obwohl bereits Mitte 40 - mit der frischen Glätte des Jungspunds ausgestattet. Sie schiebt ihre Lachfalten so sehr zu ihren wachen Augen hoch, dass das Gegenüber zwingend mitmachen muss. Er lässt in weitem Bogen seine Augenbrauen aufsteigen, sodass sie in ihrer Vorwitzigkeit fast seine braunen Locken auf der Stirn berühren.

Letztlich ist es jammerschade, dass diese Gesichter nicht zu sehen sein werden, wenn Frassetto und Egli mit ihrer Puppenspielertruppe Mummenschanz ab kommendem Donnerstag für vier Tage im Thalia-Theater gastieren. Dann werden ihre Konterfeis und Körper mit Masken aus Knete, Papier und Plastik verhüllt sein.

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Was jedoch nicht bedeutet, dass die Zuschauer auf eine ausdrucksstarke Mimik verzichten müssen. Im Gegenteil. Die Figuren, die durch minimalistische Kostüme entstehen, sind ganz eigene poetische Geschöpfe. Sie wirken verletzlich, fröhlich, lustig, verliebt oder verwirrt, also zutiefst menschlich. Sie sagen sehr viel. Ohne auch nur ein Wort laut auszusprechen. Und das seit bereits 40 Jahren.

Am Anfang war das noch anders. Als die beiden Schweizer Bernie Schürch und Andres Bossard Mummenschanz 1972 in Paris gründeten, hatten sie bei ihrem abstrakten Figurentheater noch auf verbale Kommunikation gesetzt. "Bei einer Tournee in der Schweiz, in unserem viersprachigen kleinen Land, haben wir aber schnell gemerkt, dass es zu schwierig ist, das jedes Mal neu zu übersetzen", erzählt Frassetto in einem Café im Karoviertel und nippt an ihrem frischen Minztee. "Um runterzukommen", sagt sie.

Die Tochter italienischer Einwanderer, die in den USA aufwuchs und jetzt im Kanton St. Gallen lebt und arbeitet, redet in einer faszinierenden Akzent-Mixtur zwischen englischen Dehnungen und alpenländischen Reibelauten. Und mit dem Fotografen wechselt sie mal eben ins Spanische. Im realen Leben ist sie eine Sprachartistin, auf der Bühne jedoch eine Künstlerin der Stille. "Wir haben uns damals bald auf eine rein visuelle Darstellung konzentriert", erinnert sich Frassetto. Schläuche zum Beispiel, die als riesige Augen und Münder lebendig werden, verständigen sich universell. Die Transferleistung der Übersetzung entfällt. Die Botschaft, sie landet ungefiltert mitten im Herzen.

"Wir wollen das Publikum in ein Spiel mitnehmen, in dem wir die Probleme der Kommunikation auf poetische, kindliche Weise thematisieren", sagt Frassetto, die sich selbst als "Kind der 68er-Bewegung" sieht.

Ihre grauen Haare trägt sie in einem Dutt mitten auf dem Kopf, als habe sie dort all ihre Ideen gebündelt. "Die Fantasie stimulieren und ein wenig provozieren, ohne große Analytik" - auf diese Formel bringt Frassetto das Schaffen von Mummenschanz. Wenn zum Beispiel ein Kreis versucht, Kontakt zu einem Quadrat und einem Dreieck aufzunehmen und zwischen deren Ecken hin- und herpendelt. Eine Lyrik ohne Reim und Schema, die zeitlos ist und Mummenschanz zum modernen Klassiker macht.

"Jetzt gibt es eine neue Generation, die mit nur einem Finger geboren sein muss, um sich auszutauschen", sagt Frassetto und lacht ihr Vielfaltenlachen, während sie mit ihrem Zeigefinger pantomimisch tippt und wischt wie auf einem iPhone. "Aber auch die Jungen spüren die Emotionen, sie sind begeistert von uns, sie lachen und vergessen diese Einfinger-Kommunikation", erzählt die Darstellerin. Und ihr Kompagnon Egli ergänzt: "Reaktionen aus dem Publikum zeugen genau davon, dass diese Ruhe etwas ganz Modernes ist. Weg vom technisierten Alltag."

Eine Konzertpianistin hätte etwa mal gelobt, dass die Show ganz ohne Musik auskommt. Das sei durchaus erholsam. Und auch seine eigenen Kinder würden in den Vorstellungen im positivsten Sinne verstummen. "Die sitzen fasziniert still da, wo sie doch zu Hause alle zehn Minuten fragen: Was soll ich jetzt machen? Kann ich mit dem Handy spielen?", erklärt der Schweizer Choreograf und Tänzer, der erst dieses Jahr bei Mummenschanz eingestiegen ist.

Während Eglis Sätze die Luft erfüllen, vorbei an Kaffeemaschinenröcheln und Hintergrundpop, sprechen seine Hände und Arme ebenfalls und ziehen eine zweite Bedeutungsebene in den Raum ein. Sie erzählen von seinem quirligen Charakter, wenn er sie wirbeln lässt. Und sie unterstreichen seine nachdenkliche Seite, wenn er sie behutsamer einsetzt. Die Gesten, sie verraten viel. Und das gelte erst recht für die Figuren der einzelnen Nummern, meint Frassetto: "Du glaubst zunächst, dass du hinter der Maske verschwindest. Aber in Wirklichkeit offenbarst du viel mehr von deiner Persönlichkeit, als du denkst." Jede Bewegung ein Zeichen, das ausgesendet wird, das im Fokus der Sinne steht, da kein Ton, kein Schnickschnack die Aufmerksamkeit ablenkt.

"In der Reduktion liegt die Stärke", sagt Egli. Und diese be- und verzaubernde Konzentration auf das Wesentliche war in Hamburg zuletzt Ende der 70er-Jahre in Altona zu erleben.

"Faaabriiik, ich erinnere mich an jede Ecke, Mamma Mia!", ruft Frassetto aus. Und eines hat sich seitdem für sie nicht geändert: "Es ist eine intime Sprache mit dem Publikum. Wir gehen in eure innere Welt." In eine Welt, die nicht lärmt.

Mummenschanz Do 16.8. + Fr 17.8. (jew. 20.00), Sa 18.8. (15.00 + 20.00), So 19.8. (18.00), Thalia-Theater (S/U Jungfernstieg), Alstertor 1, Tickets von 28,15 bis 62,-; Infos im Internet: www.mummenschanz.com

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