Man darf das bizarr finden: Festspiele feuern Sänger mit Hakenkreuz-Tattoo. Engagiert wird Jonathan Meese, der gern mit NS-Symbolen spielt.

Bayreuth ist wahlweise eine Stadt oder ein Festspiel. Beide, Stadt und Festspiel, haben mit einem Hügel zu tun, der heute grün ist und früher braun war. Ist das die Wahrheit? Nein, es sind bloß Zeichen. Und weil die in viele Richtungen weisen, manche real, manche metaphorisch, muss man sie erst deuten. Wenn man sicherstellen wollte, dass die Menschen das nicht vergessen, könnte man ja ein Zeichen erfinden, das selbst schon in viele Richtungen weist. Es wäre womöglich von einem Hakenkreuz nicht zu unterscheiden.

Apropos Hakenkreuz: Da hat ein russischer Sänger namens Evgeny Nikitin sich eines mal auf die Brust tätowieren lassen, in einer Stadt, die im arktischen Teil von Russland liegt. Jedenfalls weit weg von Deutschland, aber weiter noch von Indien, was - zusammen mit dem Umstand, dass der junge tätowierte Nikitin in einer sogenannten "National Socialist Black Metal"-Band spielte - eher nicht dafür spricht, dass er mit der Swastika dem Sonnenaufgang und überhaupt allem Guten auf der Welt huldigen wollte, wie es die Inder tun. Nikitins Hakenkreuz tauchte freilich bloß im Fernsehen auf, denn auf seiner Brust prangt an der Stelle inzwischen ein achteckiger Stern. In Bayreuth flog er trotzdem raus, vor zwei Wochen, kurz vor der Premiere des "Fliegenden Holländers".

Nikitin verschwand und verstummte so wie ein Zeichen, das keiner deutet. Im aktuellen "Spiegel" bricht er sein Schweigen. Er behauptet allen Ernstes, das Hakenkreuz sei nie ein Hakenkreuz gewesen, sondern "die Konturen des Tattoos" hätten bloß "im Anfangsstadium einem Hakenkreuz" geähnelt. Lustig, es gibt über die ganze Sache so viel zu sagen, nur eins nicht: dass das Ding kein Hakenkreuz gewesen sein soll. Denn es war eins. Der interessanten Frage verweigert sich Nikitin leider, aber das heißt ja nicht, dass man sie nicht dennoch stellen dürfte: Was hat das Hakenkreuz zu bedeuten?

+++ Herzlichkeit statt Glamour: Bayreuth und das Personal +++

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Hier hilft es, an Jonathan Meese zu denken, den Künstler mit dem Musketierbart, der Jesusfrisur und den Adidasjacken, der unentwegt von "Ichverseuchung" spricht, von "Erzkunst", der überhaupt die "Diktatur der Kunst" fordert. Ungefähr zur selben Zeit, als Eva und Katharina Wagner den anstößig tätowierten Sänger feuerten beziehungsweise ziehen ließen, engagierten sie nämlich den Faschismus-Fetischist Meese. 2016 soll er in Bayreuth den "Parsifal" inszenieren.

Auf seiner Homepage posiert er jetzt schon mal stolz vor der Wagner-Büste, die auf dem Grünen Hügel unweit des Festspielhauses steht und die der bedeutendste Bildhauer des Nationalsozialismus, Arno Breker, geschaffen hat. Darunter sieht man Meese, wie er ein paar Meter weiter salutiert. Rote Frakturlettern, die riesig ins Bild ragen, verkünden: "Erz-Wagner befiehlt, Erz-Meese folgt!" Die Bildunterschrift: "Erzbayreuth 'Parsifal' ist Totalstspiel." Danach folgt die "Marschrichtungszahl" genannte Erklärung: "Die Bühne Bayreuth muss sich ausdehnen, erst über Deutschland, dann Europa, dann über die ganze Welt und im ganzen Universum, bis diese miese, mickrige Realität vollkommen totalliebevollst verdrängt ist!" Und weiter: "Meese schwört: 'Diese Oper wird ein wahres Bühnenweihfestspiel für die Diktatur der Kunst! Es wird sich abermals erweisen, dass das Diktat der Kunst dem demokratischen Konsensbrei immer überlegen ist und demzufolge die Demokratie besiegen wird!'"

wei Dinge muss man hier festhalten: Erstens, das ist keine Ironie. Und zweitens, nein, Meese ist kein Nazi. Meese will spielen. Das ist das Gegenteil von: "Er will nur spielen." Denn Meese will totalst spielen. Sein Hass auf die Demokratie ist ernst gemeint, genauso wie der auf die "Ichverseuchtheit". Am Faschismus liebt er das Unwichtigwerden des Einzelnen, sein Leben im Dienst einer höheren Sache. Das macht ihn wie gesagt nicht zum Nazi und auch nicht zur phrasendreschenden Fremdschamzielscheibe, wie die "FAZ" jüngst meinte, sondern bloß zu einem der wichtigsten Künstler, die in Deutschland zurzeit herumlaufen. Denn er predigt eine Kuscheltierzeit, die sich in Stahlbädern gewaschen hat. Das Ende der Politik und den Anfang des totalen Glücks. Man könnte auch sagen: die Freiheit des Menschen.

Mit dem Fall Nikitin hat das Ganze trotzdem einiges zu tun. Nämlich, dass Meese seinen Protest gegen die Wirklichkeit in Faschismus-, genauer: in Nazisymbolik kleidet. Statt dem Hakenkreuz, das in Deutschland bekanntlich verboten ist, strotzt Meeses Werk vor Eisernen Kreuzen, und wo er kann, zeigt er den Hitlergruß. "Das ist gut für den Körper", erklärte er dem "Spiegel". Die rechte Hand stramm ausgestreckt, schreite er gern mal durch sein Atelier.

Warum sollte man Nikitin nicht glauben, wenn er behauptet, es sei ihm als Teenager in Murmansk darum gegangen, gegen die Erwachsenenwelt zu protestieren, und dass man die Erwachsenen mit nichts habe so aufbringen können wie mit Nazi-Symbolen? Geschenkt, dass dieser Protest viel weniger gebrochen daherkam als Meeses, also die Diktatur allein zeichenhaft verherrlichte und nicht "totalliebevollst".

In anderer Hinsicht entpuppt sich Nikitin nämlich als ebenso vom Willen zum Ichverlust getrieben wie Meese: "Wenn ich mein Studio betrete", sagte der Bassbariton, der das Singen in einer Rockband nie ganz gelassen hat, kürzlich der "Süddeutschen", "lasse ich alles hinter der Tür. Für drei, vier Stunden lebe ich in meinem Kosmos, und niemand fasst mich an und nichts fasst mich an." Das ist natürlich ein paar Nummern naiver, weil weniger auf den Begriff gebracht als bei dem drei Jahre älteren Meese. Aber rechtfertigt es, ihn ohne entsprechende Zeichendeutung zu feuern, während man einen anderen engagiert, der mit derselben Symbolik nach ähnlichen Zielen strebt? "Ich bin ein Künstler, kein Neonazi", hat Nikitin von Anfang an betont.

Durch den Wald der Zeichen tappt der Sänger ungleich linkischer als der Künstler. Wo dieser mit dem Antisemitismus, dessen Assoziationen Bayreuth nicht so schnell loswird, offensiv kokettiert, sucht Nikitin, ganz wie die Wagner-Festspiele in den letzten Jahrzehnten, alles unter den Teppich zu kehren. Das ist nicht schlau. Denn die Zeichen der Vergangenheit lassen sich nicht wirksam verdrängen, nur bewältigen. Dafür muss man sie aber interpretieren.