Sebastian Hochstein versorgt amerikanische Rapper mit den richtigen Beats - und unterrichtet ab Herbst an der Stadtteilschule Kirchwerder.

Geesthacht. Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein Notenheft mit Liedern von Franz Schubert, im Regal stehen CDs von Leonard Cohen bis Stan Getz. Auf dem Plattenteller dreht sich der Soundtrack des Italo-Western "Spiel mir das Lied vom Tod". Auf den ersten Blick deutet in Sebastian Hochsteins Wohnung wenig darauf hin, dass der Raum auch Studio ist und hier Hip-Hop-Beats für amerikanische Rapper produziert werden. Nur ein Keyboard und ein alter Synthesizer passen nicht so recht in dieses aufgeräumte und geräumige Zimmer im ersten Stock eines Drei-Familienhauses in Geesthacht.

"Seit zehn Jahren produziere ich Hip-Hop-Beats anfangs für eine eigene Band, die ich hatte, aber inzwischen immer mehr für Musiker in den USA", sagt Hochstein. Als das Hobby immer mehr zur Passion wurde, studierte er noch an der Hamburger Uni Musikwissenschaft, später wechselte er an die Hochschule für Musik und Theater, inzwischen arbeitet er als Referendar an der Grundschule Zollenspieker in Kirchwerder. Auf einem zweiten Schreibtisch in seinem Wohn- und Arbeitszimmer liegt in einer Mappe verborgen seine fast fertige Examensarbeit mit dem Thema "Rhythmuslernen mit Hilfe von Vocalpercussion". Im Oktober ist der 32 Jahre alte Musiker mit seiner Lehrerausbildung fertig und bekommt dann eine Anstellung an der Stadtteilschule Kirchwerder. "Die Arbeit mit Kindern macht mir sehr viel Spaß, weil es mir gelingt, sie für Musik zu begeistern, und ich sie dazu bringen kann, hinzuhören und selber kreativ zu sein", erzählt der Referendar mit dem jungenhaften Gesicht und der Kurzhaarfrisur.

In den letzten zwei Jahren hatte Hochstein viel mit Lehrversuchen, Unterrichtsvorbereitungen und Korrekturen von Klassenarbeiten zu tun, doch jede freie Minute nutzte er, um an seinen diversen Projekten zu arbeiten und zu netzwerken. Er hat Dutzende von US-Rappern und Labels angeschrieben, ihnen Musik geschickt und seine Dienste als Produzent angeboten. Wenn er aus den Vierlanden mit dem Auto in seine Klause nach Geesthacht zurückkehrt und sich an seinen Rechner oder den Sampler MPC 2500 setzt, verwandelt er sich in Jaq, den Hip-Hop-Produzenten. In den USA ist gerade auf dem unabhängigen Illect-Label sein erstes Album "Escape From Radio Prison" erschienen, fast zeitgleich mit "Fanfaronade" von Kristoff Krane, ein Album, das Jaq in den vergangenen zwei Jahren zusammen für den aus Minnesota stammenden Rapper produziert hat.

"Ich habe Kristoff im vergangenen Jahr in Hamburg getroffen, als er dort im Hafenklang aufgetreten ist, und wir haben einen sehr lustigen Abend zusammen gehabt. Aber für die Zusammenarbeit muss man nicht gemeinsam im Studio arbeiten. Die Arbeit lief so, dass ich ihm ein Bündel mit Beats geschickt habe, er hat sich davon welche ausgesucht, darüber gerappt und mir seine Versionen zurückgeschickt. So haben wir über Monate an den Tracks gefeilt", erzählt Hochstein. Während seine Freunde am Wochenende die Nacht zum Tage machen und feiern, hockt der Junglehrer in einsamer Nachtarbeit über seinen Geräten und seziert die verschiedenen Rhythmusspuren an seinem Rechner. Fügt hier noch ein Harfen-Sample hinzu, verlangsamt dort die Geschwindigkeit um fünf Schläge pro Minute, schneidet und editiert, probiert aus, verwirft wieder und kreiert auf dem Sampler einen neuen Beat, den er auf einer neuen Tonspur hinzuaddiert. Ab und an verlässt er dann seine Eremitage, um unten im Garten den Kopf für eine neue Idee freizubekommen.

Die Musik von Jaq klingt wie Hip-Hop alter Schule. Wie damals, als zwei Plattenspieler und ein Mikrofon ausreichten, um über einen einfachen Rhythmus zu rappen. "Dieses ganze R&B- und Neo-Soul-Gedudel kann ich mir nicht anhören", sagt Hochstein leicht abfällig, obwohl diesen zurückhaltenden Zeitgenossen eine große Toleranz gegenüber allen möglichen Arten und Stilen von Musik auszeichnet.

Wenn er erzählt, wie er in allen möglichen Platten nach Samples sucht, wird hinter seinen abgewogenen Ausführungen über Musik plötzlich seine Begeisterungsfähigkeit sichtbar. Seine Gelassenheit geht in Hektik über, wenn er ein Vinylalbum des Jazzers Yusef Lateef herauskramt, es blitzschnell auf den Plattenteller legt und die Nadel mitten in ein Stück absenkt: "Hör mal diesen Basslauf. Das ist der Hammer!", sagt er mit geradezu kindischer Freude. "Mir macht es viel Spaß, nach Samples zu suchen. Aber nach der Bearbeitung sollen meine Leute nicht erkennen, wo das Sample herkommt. Das ist die Kunst." Mit "meine Leute" meint er Freunde, die genauso musikverrückt sind wie er.

Nicht alle Beats, die Hochstein baut, basieren auf Samples. Einige hat er selbst mit dem Schlagzeug, das im Keller seines Elternhauses steht, gespielt und aufgenommen. Trommeln war früher eine Leidenschaft, jetzt hat sich seine kreative Arbeit auf den Umgang mit Laptops und Keyboards verlagert. Einige Jahre lang hatte er eine Deutsch-Rap-Band mit dem Namen SFB, aber mit deutschem Rap hat er mittlerweile abgeschlossen. Sogenannter Gangsta-Rap, sei er nun aus den USA oder aus Deutschland, ist diesem feinsinnigen Ästheten ein Graus. Vor ein paar Jahren hat er sogar seine damalige Erdgeschosswohnung in einem etwas finsteren Viertel von Geesthacht aufgegeben, weil plötzlich ein Halbwüchsiger bei ihm klingelte und sagte: "Ich bin der Bushido von Geesthacht. Kann ich bei dir 'n paar Sachen aufnehmen?"

Von sich selber sagt Jaq alias Sebastian Hochstein, dass er erst am Anfang stehe. In der lebendigen Hip-Hop-Szene von Minnesota hat er inzwischen Fuß gefasst, auch für andere bekannte Musiker wie den norwegischen Gitarristen Eyvind Aarset hat er einen Remix produziert, etliche E-Mail-Antworten stehen aus. Aber seit gestern rückt der Hip-Hop etwas nach hinten. Das neue Schuljahr hat begonnen. Aus Jaq wird für die Kinder in Kirchwerder wieder "Herr Hochstein". Der Musiklehrer.