Sat.1 verfilmt die wahre Geschichte des 17-jährigen Marco Weiss mit Veronica Ferres und Herbert Knaup. Ein Setbesuch in Seevetal.

Seevetal. Zweimal deutsche Wirklichkeit, wie sie prototypischer nicht sein könnte: Die deutsche Nationalmannschaft kämpft um den Weltmeistertitel. Und zur selben Stunde entsteht ein Film über einen Fall, der 2007 deutsche Mediengeschichte geschrieben hat. Der den deutschen Außenminister ebenso beschäftigte wie die Bundeskanzlerin. Der Fall Marco W. Die Produktionsfirma Zeitsprung verfilmt die Geschichte des 17-jährigen Schülers aus dem niedersächsischen Uelzen, der wegen sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen in der Türkei verhaftet wurde. "247 Tage" ist der Arbeitstitel der Produktion, die 2011 auf Sat.1 ausgestrahlt wird; 247 Tage saß Marco Weiss in Untersuchungshaft.

Warum bewegten die Ereignisse damals in solchem Maße die Öffentlichkeit, warum bewegen sie heute noch? "Das Erschreckende ist: Das kann morgen meiner Nachbarin passieren - oder mir selbst", sagt Veronica Ferres, die Marcos Mutter spielt, beim Setbesuch in Seevetal. Herbert Knaup, der die Rolle ihres Ehemanns übernimmt und einen Sohn in Marcos Alter hat, beschäftigt vor allem der Gedanke: "Was würdest du machen, wenn es deinem eigenen Kind passiert wäre?" Und Produzent Michael Souvignier, der mit Filmen wie "Contergan" ein Gespür dafür bewiesen hat, wahre Begebenheiten angemessen in fiktionale Unterhaltung zu verwandeln, erkannte sehr bald das schicksalsträchtige Potenzial des Stoffes: "Du bist zur falschen Zeit am falschen Ort. Was geschieht jetzt?" Er bemühte sich um die Rechte, bekam sie - vielleicht auch, weil er bei der Buchentwicklung die enge Zusammenarbeit mit der Familie Weiss suchte.

Bei den Dreharbeiten auf Malta waren sie am Set, und auch in Seevetal, wo Aufnahmen ihres Film-Zuhauses entstehen, bewegt sich das Ehepaar, dieses Mal ohne Sohn, zwischen Cateringwagen, Presseleuten, Aufnahmeleitern. Ein bisschen verlegen, ein bisschen unsicher. Aber überzeugt, dass der Film, wenn er hält, was das Drehbuch von Johannes Betz verspricht, "eine Art Rehabilitation für Marco sein kann". Große Worte. Verbunden mit großen Hoffnungen. Vielleicht meint Veronica Ferres etwas Ähnliches, wenn sie während einer Umbaupause (mit Blick auf das unglückselige Deutschlandspiel im Fernsehen) sagt: "Es ist eben keine Fiktion, was wir hier machen, sondern wirklich passiert. Das macht es umso anstrengender für mich als Schauspielerin, weil die Abgrenzung nicht so einfach ist."

"247 Tage" (Regie: Oliver Dommenget) schildert zwar Marcos Erlebnisse, ist aber vor allem aus der Perspektive der Mutter erzählt, die Ferres als "Antrieb und Zusammenhalt der Familie" beschreibt, als "eine Frau mit einer unglaublichen Energie": "Sie hat sich jeden Tag seinen Problemen angenommen und bewältigt - und nicht daran gedacht, was da alles noch kommen mag." Was kam und sich zum titelseitentauglichen Politikum auswuchs, war ein Albtraum aus Anklagen, Verhören und Arrest statt dem geplanten Traumurlaub an der türkischen Riviera. Den facettenreichen Fall in einen Film zu verwandeln, dafür gab es viele Möglichkeiten - vom Gerichtsdrama bis zur Missbrauchstragödie. Souvignier und sein Team haben sich auf die emotionale Ebene konzentriert, explizite sexuelle Handlungen jedoch ausgespart und die Geschichte "spannend wie ein Krimi erzählt", so der Produzent. Es sei ein "leises" Drehbuch, sagt Herbert Knaup, "keines, das auf die Tränendrüse drückt. In diesem Fall hätte ich auch nicht zur Verfügung gestanden".

In der Rolle seines Filmsohns ist Vladimir Burlakov zu sehen, ein schlaksiger Junge mit durchdringendem Blick, der zuletzt in Dominik Grafs "Im Angesicht des Verbrechens" überzeugte. Produzent Souvignier schwärmt von der Ähnlichkeit mit Marco ("wie Zwillingsbrüder"), das Ehepaar Weiss guckt, darauf angesprochen, skeptisch. Aber Marco habe, nach seinem Setbesuch auf Malta, das Spiel des Darstellers gelobt, "gut machen" würde der seinen Job.

Dichter Nieselregen setzt ein über Seevetal, den Schauspielern steht ein langer Nachtdreh bevor, Serbien hat die deutsche Nationalmannschaft besiegt. Auch so sieht manchmal deutsche Wirklichkeit aus.