St. Pauli, Rotlicht, enge Gassen, das Stadion und die Menschen dieses besonderen Viertels sind die Kulisse zu Simone Buchholz' Krimi “Revolverherz“. Maike Schiller über ein starkes Buch für starke Nerven.

Hamburg. "Die Elbe stinkt", hat Simone Buchholz in ihrem ersten Sommer in Hamburg gedacht. "Das muss so", hat ihr damals eine Freundin leicht beleidigt geantwortet. Und die hatte natürlich recht. Simone Buchholz, geboren in Hanau, sieht das längst genauso. In Hamburg hat sie ihre Herzensheimat gefunden, die Elbe hatte entscheidenden Anteil daran. Und hier, in dem Stadtteil, den sie mittlerweile zu dem ihren gemacht hat, hat die blonde Autorin einen so warmherzigen wie kaltschnäuzigen St.-Pauli-Krimi geschrieben. Ihren Debütroman "Revolverherz", dessen Hauptfigur Chastity Riley nicht nur einen bemerkenswerten Namen mit sich herumträgt, sondern auch sonst die eine oder andere Eigenwilligkeit. "Revolverherz" ist eine Hommage für Hamburg, an St. Pauli und an seinen ruppigen, immer auch ein bisschen altmodischen Kiezcharme.

Simone Buchholz, die auf Lesungen gern mit hohen Hacken und Dekolleté aufläuft, an Fußball-Spieltagen aber verlässlich im Millerntorstadion zu finden ist, hat mit Chastity Riley, genannt Chas, eine toughe Staatsanwältin als Protagonistin erfunden, die ähnliche Gegensätze auszeichnen: Chas hat ein verkorkstes Liebesleben, sie trinkt zu viel, sie raucht zu viel, und ihr Blutdruck ist im Keller. Eine tote Table-Tänzerin vor dem ersten Kaffee hat Sätze wie den zur Folge: "Tschuldigung, sage ich, halte mich am Faller fest und übergebe mich hinter seinem Rücken auf dem Pflaster. Na, prima, Frau Staatsanwältin ist in Bestform und kotzt erst mal ganz in Ruhe den Tatort voll."

Sie hat allen Grund dazu, muss man entschuldigend anfügen. Denn der Mörder, den Chas mit Verstärkung von zwei herzensguten Kriminalern und einem kiezerfahrenen Nachbarn sucht, hält sich nicht mit halben Sachen auf: Seine Opfer, alle weiblich und jung, sind Tänzerinnen in einem Stripklub. Er bringt sie nicht einfach um. Er skalpiert sie und setzt ihnen anschließend Perücken auf. Ein perverser Serienkiller.

"Ich brauchte etwas, wovor ich selbst richtig Angst habe, damit ich bei der Stange bleibe", erklärt Simone Buchholz den grausamen Plot, der ihre Figuren in die Halbwelt von käuflichem Sex, brutalen Geldgeschäften und strippenziehenden Puffmuttis führt. Als Journalistin hatte sie bis dato für verschiedene Magazine vor allem über die Beziehung zwischen Männern und Frauen geschrieben. Sie hatte, sagt sie, mal Sehnsucht nach einem entschieden "härteren Ton".

Den hat "Revolverherz" zweifelsohne. Glücklicherweise hat Simone Buchholz jedoch ein Talent für den Wechsel zwischen den zupackenden, kriminesken Szenen und der Leichtigkeit und Schrulligkeit ihrer Figuren. Nicht nur ihrer Staatsanwältin widmet sie eine liebevolle Figurenzeichnung, auch die Kollegen der Kriminalpolizei sieht man ebenso bildlich vor sich wie den arroganten, aber leider gut aussehenden Theater-Intendanten mit dem Stahlblick oder den coolen, jungenhaften Nachbarn namens Klatsche, der früher selbst mal ein böser Junge war, aber jetzt einen Schlüsseldienst hat. Und übrigens auch für andere Eventualitäten prima zu gebrauchen ist: schwere Jungs jagen, an der Theke trinken, nach Hause gebracht werden. Solche Sachen.

"Irgendwo hinter den Wolken ziehen die Sterne ihr Ding durch, und ich weiß: Das hier ist mein Ort in der Welt. Dieses schmutzige kleine Stadtviertel mit seinem kaputten Kopfsteinpflaster, seinen dunklen Häusern, seinen funzelnden Lichterketten, seinem Charme, seinem Kummer, seinen nicht wichtigen, aber liebenswerten Geschichten, seinem ewigen Nieselregen, und direkt neben mir ist einer von den Menschen, die ich immer bei mir haben will." Simone Buchholz hat keine Scheu vor Melancholie und ein Faible für diese Art von achselzuckendem Kitsch, der den Kater am nächsten Morgen gleich mitdenkt.

Der Kriminalfall um die schaurigen Mädchenmorde ist konsequent erzählt. (Buchholz ist bekennender "Tatort"-Fan. Sonntagabend bei ihr anzurufen ist streng verboten.) Und doch ist er nicht der Hauptgrund, diesen Roman zu lesen, dessen Fortsetzung übrigens im Entstehen ist.

Das Entscheidende ist das warme Heimatgefühl, das einen beim Lesen packt. Und das daran erinnert, wie es ist, wenn die Kiezbeleuchtung durch den Abend glitzert, wenn die Straßenfeger durch den grauen verregneten Morgen kurven oder wenn man selbst, mitten am entzauberten Tag, vorbei an den verlassenen Restgestalten, über die verranzte Reeperbahn läuft und in eine der Seitenstraßen abbiegt, die hinunter zum Hafen führen.

Kann schon sein, dass die Elbe stinkt. Aber es ist doch gut zu wissen, dass sie da ist.