Das Ende einer Ära: Das einstige Atlantik-Kopierwerk bearbeitet Filme nur noch digital, verlässt jetzt Rahlstedt und zieht in die City.

Hamburg. Das alte Backsteingebäude in der Sieker Landstraße in Rahlstedt war einmal eine Kaserne. Entsprechend nüchtern ist die Architektur. Noch bevor man die Räume betritt, fällt einem außen am Gebäude eine besonders gekennzeichnete Einwurfklappe auf, die an eine Babyklappe erinnert. "Hier konnten Filmemacher, die bis spät abends gearbeitet haben, auch nach Mitternacht noch ihr Material einwerfen. Der Pförtner war nur bis 24 Uhr da. Die Frühschicht hat dann gleich mit der Entwicklung begonnen", erklärt Beate Lesch, Leiterin der Hamburger Niederlassung von CinePostproduction.

Die Welt des Films ändert sich und bleibt doch gleich. Künstler vor und hinter der Kamera und eine gute Geschichte braucht man immer. Aber wenn der Film "im Kasten" ist, beginnt die Phase der Postproduktion. Das Filmmaterial muss bearbeitet, entwickelt und kopiert werden. So auch bei der CinePostproduction. Dort hat man auch unter dem Namen Atlantik-Kopierwerk jahrzehntelang Filme fotochemisch entwickelt, bearbeitet und in den vergangenen Jahren die digitale Postproduktion stark ausgebaut.

Die analoge Produktion wird eingestellt. In den Gebäuden der Firma werden die nicht mehr benötigten Maschinen und Chemikalientanks abgebaut. Das mag ein nüchterner Vorgang sein und trotzdem erzählt er etwas Grundsätzliches: Ein Kapitel Filmgeschichte neigt sich seinem Ende zu.

Innen, im Atlantik-Kopierwerk, fühlt man sich ein bisschen wie in einem Filmmuseum. Die Wände sind über und über mit Filmplakaten tapeziert. "Open Hearts", "Soul Kitchen", "I, Anna". Seit 1949 ist hier mit Zelluloid gearbeitet worden. Das Kopierwerk, eine Institution der Branche, arbeitete überwiegend mit selbst gebauten Maschinen. Darin wurde das Material in 22 Entwicklungsschritten unter anderem Wasser, Entwickler, einem Stopp- und einem Bleichbad ausgesetzt. Die großen Maschinen, die jetzt verschrottet werden, konnten bis zu drei Spielfilme pro Stunde entwickeln. Jetzt stehen sie verwaist in den ausladenden, 8500 Quadratmeter umfassenden Räumen.

Im Keller unter dem Maschinenpark lagerten in großen Behältern bis vor Kurzem noch Chemikalien wie Natriumhydroxid und Ammonium. "In den vergangenen 100 Jahren hat man höchstens mal an diesen Emulsionen etwas geändert", sagt Niederlassungsleiter Jens Fischer. Schon jetzt liegt eine unnatürliche Stille über der Anlage. "Wir rechnen seit Jahren mit der Umstellung, aber zuerst wollte keiner in das kalte Wasser springen", erklärt Geschäftsführer Christian Sommer. Die Postproduktion erfolgt bereits seit Jahren weitgehend digital. Jetzt folgt die Ablösung der verbliebenen analogen Arbeitsschritte, die man in der Foto-Branche längst bewältigt hat.

Nur in einem Raum dreht sich noch eine Filmspule. Die Siegfried-Lenz-Verfilmung "Arnes Nachlass" mit Jan Fedder in einer Hauptrolle ist noch auf 16-Millimeter-Filmmaterial gedreht worden und wird gerade digital abgetastet. Lange hatten Filmemacher angesichts der digitalen Technik die Nasen gerümpft. Das Material habe nicht genügend Tiefenschärfe, hieß es. Mittlerweile sind Kameras und Aufnahmetechnik so verfeinert, dass auch frühere Skeptiker überzeugt sind. Unbestritten ist außerdem die Möglichkeit, die Produktionskosten zu senken, da man kein Filmmaterial verbraucht. Bis zu 100 000 Euro ließen sich so pro Film einsparen schätzen Sommer und sein Kogeschäftsführer Stefan Müller.

Die Postproduktion ist ein Berufsfeld im Umbruch. Klassische Filmentwickler wird man in Zukunft kaum noch brauchen, stattdessen sind Programmierer, Design- und Webspezialisten gefragt. Die CinePostproduction arbeitet für Spielfilmproduktionen, das Fernsehen und die Werbebranche. Sie bietet auch Titel-Design, die Betreuung von Websites, Plakaten, Trailern sowie die Bereitstellung von Presse- und Promotion-Materialien an. Besonders stolz ist man auf die Entwicklung der Software "Copra", die den Filmemachern erlaubt, sich das gedrehte Material nach getaner Arbeit auf dem iPad anzusehen.

Für Filmemacher ist die neue Technik auch reizvoll, weil sie nicht mehr aus Kostengründen mit dem Filmmaterial geizen müssen. Das wird manchmal heftig ausgenutzt. Lag früher bei analogen Produktionen die Relation von verwendetem zu gedrehtem Film bei 1:8 bis zu 1:14, liegt sie heute gelegentlich bei 1:25. "Manchmal ist digital auch nur der Komparativ von egal", sagt Fischer.

Wie die digitale Technik das Berufsfeld verändert, kann man auch anhand von 3-D-Filmen sehen, die mit der analogen Technologie gar nicht möglich wären. Die Postproduktion begann früher nach den Dreharbeiten, heute wird quasi zeitgleich damit begonnen.

So ist die CinePostproduction an Detlev Bucks Verfilmung von Daniel Kehlmanns Roman "Der Vermessung der Welt" beteiligt. Ständig waren schon während der Dreharbeiten vier Mitarbeiter in einem mobilen Digital-Labor mit digitalem Kino am Set, um die Aufnahmen zu kontrollieren und den Filmemachern die Ergebnisse zu zeigen. "Ne schöne Stereo-Kneipe habt ihr hier", soll Buck die Arbeit im Trailer gelobt haben. "Vor vier Jahren haben wir höchstens mal einen Setbesuch gemacht. Heute sind wir ein fester Teil davon", freut sich Müller.

Konsequenz des technischen Umbruchs für CinePostproduction: Die Firma sucht neue Geschäftsräume in der City, 34 Angestellte müssen gehen, 20 bleiben. In den 70er-Jahren waren in Rahlstedt noch 500 Mitarbeiter beschäftigt. Der lange erwartete Wandel vollzieht sich in einem besonderen Jahr. 2011 hatte der Firmenvorläufer, die von August Geyer gegründete "Kino-Kopiergesellschaft", zu deren Firmengeflecht auch das ehemalige Atlantik-Kopierwerk zählte, ihren 100. Geburtstag gefeiert. Die Firma ist der älteste filmtechnische Dienstleister Deutschlands. Im 101. Jahr hat ein neues Kapitel begonnen.