Wegen eines überdeckten Hakenkreuz-Tattoos hat der Bassbariton Evgeny Nikitin seinen Auftritt bei den Bayreuther Festspielen absagen müssen.

Bayreuth. Bei der Eröffnung der Ausstellung "Verstummte Stimmen" am Sonntag war es niemandem auch nur einen Satz wert, das Sängerbeben, das am Vortag Festspiel-Bayreuth erschüttert hatte. Anfang der Woche hatte der russische Sänger der Titelrolle im "Fliegenden Holländer", Evgeny Nikitin, 38, international erfolgreicher Bassbariton, bei einem Fototermin seine tätowierte Brust gezeigt - darauf zu sehen sind zwei Runen, die von Neonazis geschätzt werden: die Leben-Rune und die Tyr-Rune.

Nikitin trägt rechts außerdem ein großes buntes Tattoo, das seit 2007 ein früher eingestochenes Hakenkreuz verdeckt, wie ZDF-"aspekte" am Freitagabend aufdeckte. Und an seiner Halskette baumelte der Thor-Hammer, ebenfalls Symbol verquaster Germanen-Verbundenheit. Die Tattoos stammen aus seiner Jugend, wo sich der Sänger, der aus Murmansk stammt und in St. Petersburg studiert hat, in einer Heavy-Metal-Band betätigte. Gerade in seiner russischen Heimat sind NS-Symbole ein Maximum an Provokation - und hier ein erschütternder Einblick in eine Jugendkultur, die offenbar wenig bewusste Verbindung zur eigenen Geschichte hat und bestenfalls ungeheuer naiv mit solchen Symbolen umgeht.

Die Bayreuther Festspielleitung, die schon durch Recherchen der "Bild am Sonntag" wusste und alarmiert war, erkannte das hohe Skandalisierungspotenzial und zeigte sich bestürzt. Nikitin wurde am Sonnabendvormittag zum klärenden Gespräch gebeten. Als man dort das Gefühl bekam, er sei zu unsensibel für die Irritationen wegen seines Körperschmucks, verzichtete er auf die Titelrolle und reiste sofort ab, vier Tage vor der Eröffnungspremiere.

Nikitin ließ später verbreiten, seine mehr als 20 Jahre alten Tattoos hätten für ihn keine politische, sondern spirituelle Bedeutung. Im Übrigen bedauere er diesen "großen Fehler in meinem Leben". Der "Bild am Sonntag" sagte er: "Es war mir nicht klar, dass die Symbole, die ich als Tattoos trage, in Zusammenhang gebracht oder sogar von Nazis oder Neonazis benutzt werden können." Doch da war es zu spät.

Die Trennung von Nikitin, ließ die Festspielleitung verlauten, stehe "im Einklang mit der konsequent ablehnenden Haltung der Festspielleitung gegenüber jeder Form nationalsozialistischen Gedankenguts". Allerdings mag man auch den medialen Wellenschlag im Auge gehabt haben, den die Tattoo-Debatte bekommen hätte angesichts der Tatsache, dass die Ausstellung "Verstummte Stimmen" nur 100 Meter vor dem Festspielhaus die Schicksale von zwölf ermordeten NS-Opfern und vielen weiteren NS-Verfolgten aufblättert.

Eva und Katharina Wagner informierten am Sonnabend um 17 Uhr Chor und Orchester, um 18 Uhr startete die Generalprobe mit einer kurzen Erklärung für das Publikum durch Marius Bolten, den Leiter des künstlerischen Betriebsbüros: Eingesprungen sei Samuel Youn. Der war knappe zwei Stunden lang in die Inszenierung von Jan Philipp Gloger eingewiesen worden,

Der Eklat zeigt, dass Bayreuth sich immer neu mit den Schatten der Vergangenheit auseinandersetzen muss, selbst wenn es, wie im aktuellen Fall, eine schlichte Jugendtorheit im russischen Untergrund gewesen sein sollte, die in Bayreuth einen Donnerschlag ausgelöst hat. Eine Tattoo-Kontrolle aber plant die Festspielleitung auch künftig nicht.

Für den über die Tattoos gestolperten Nikitin muss die Zukunft weisen, ob der Sturz vom Hügel einen Karriereknick bedeutet. Bei Wagner jedenfalls hat der "Holländer" alle sieben Jahre die Chance, wieder an Land zu gehen und Erlösung zu finden.