Ein Musikfestival zeigt am 21. Juli auf dem Dockville-Gelände aktuelle Rap-Strömungen vom gepflegten Diskurs bis zum ungepflegten “Diss“

Reiherstieg. Hip-Hop war eigentlich schon in der Pionierzeit mehr als Sprechgesang über pumpenden Beats, vielmehr war und ist Hip-Hop immer Experimentierfeld gewesen, um Grenzen auszuloten, musikalisch und lyrisch. Das weite Themenfeld von Sozialkritik bis Selbstdarstellung, vom gepflegten Diskurs bis zum ungepflegten "Diss", dem gegenseitigen Niedermachen. Alles muss gehen.

Aber wie weit kann man gehen beim plakativen Reimen, beim Klau von Musikzitaten, die mal nur kurze Soundschnipsel - Samples - sein können, mal das komplette Stück, nur mit neuem Text? Als Beispiel sei Sean Combs alias Puff Daddy alias P Diddy genannt. Seine beiden großen Hits "I'll Be Missing You" und "Come With Me" waren nichts anderes als Eins-zu-eins-Derivate von "Every Breath You Take" (The Police) und "Kashmir" (Led Zeppelin). Kann man machen. Andere Rapper basteln sich ihre Klänge komplett selbst. Nur eins hat es seit dem kommerziellen Durchbruch des Genres 1979 mit "Rapper's Delight" von der Sugarhill Gang nie gegeben: Stillstand.

Natürlich kamen und gingen auch im Hip-Hop die Trends. Die totgesagten. Die tatsächlich getöteten. Aber immer, wenn wieder die Totenglocke geläutet wird, taucht die nächste Generation auf. Wie in Deutschland aktuell mit Cro, Marteria, Casper oder Nate 57, die nur die Speerspitze eines brodelnden Untergrunds sind, der nach wie vor alle Richtungen, von Pop-affinen Mittelstands-Teenies bis zum straßengestählten Banden-Rappern vereint.

In genau diesem Spannungsfeld bewegt sich auch das Spektrum-Minifestival am morgigen Sonnabend auf dem Dockville-Gelände am Reiherstieg Hauptdeich in Wilhelmsburg. Gut 20 internationale Bands und Künstler aus Deutschland, USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Luxemburg vereinen sich für einen Wimpernschlag der Hip-Hop-Historie: Dem Jetzt, das morgen schon Old School sein kann. Oder zeitlos. Oder zukunftweisend. Wer weiß das schon, Erfolg kann man nicht planen, unterbewertete Top-Talente nicht an die Spitze zaubern, Mainstream-Erfolg nicht verhindern. Aber bei Spektrum klingt keiner wie der andere.

Ein Vertreter der Hamburger Hip-Hop-Schule auf den vier (Zelt-)Bühnen ist das Trio Eljot Quent. "Jetzt beginnt für dich 'ne neue Zeit, wie sie beim Flash war", rappen Len und Müwie auf den Flöten-Samples von DJ Fogel und zeigen gleich zu Beginn ihres Debütalbums "Alles auf Anfang" (2012), wohin die Reise geht: Zurück in die Jahre 1999 bis 2002, als bei den "Flash"-Festivals im Stadtpark und am Millerntor Absolute Beginner, Deichkind, Fettes Brot, Eins Zwo, Dynamite Deluxe und Fünf Sterne Deluxe mit hanseatischer Lässigkeit auftrumpften. Nordish By Nature. Da diese Ära aber vorbei ist, springt Eljot Quent in die Lücke.

Den harten Kontrast dazu zeigen beim Spektrum die Kölner Retrogott und Hulk Hodn. In offensiver US-Manier der 80er und 90er entfalten sie auf bislang drei Alben die "Hurensohnologie" des Battleraps und verbalballern gegen Pappmenschen, Hochstapler und andere Kommerzluschen. Da wundert es schon, dass Retrogott und Hulk Hodn bereits mit den Stuttgarter Orsons auf Tour waren. Die machen sich auch bei Spektrum einen Spaß daraus, sämtliche Feindbilder von harten Jungs zu vereinen und ironisch zu brechen.

Zwischen "Genie und Wahnsinn" pendelt auch das Duo Genetikk aus Saarbrücken. Der reinste "Voodoozirkus" ist es, den Karuzo (maskiert als Totengott Baron Samedi) und Sikk entfesseln. Sie behaupten, die besten weißen Rapper neben "diesem miesen Mashall Mathers" (Eminem) zu sein. Vielleicht sind sie doch eher der "König der Lügner", aber der gleichnamige Track mit dem Beat von "Jungle Fever" (The Chakachas, 1972) kann sich hören lassen.

Ebenfalls sehens- und hörenswert ist auch das Londoner Duett 14th. Tracey Duodu und Tom Barber verzahnen House und Electro mit vom Soul inspirierten Gesang und effektreich gesetzten Breaks. In den 90ern wären sie vielleicht in der Eurodance-Schublade gelandet, aber es kommt ja alles wieder. So wie der Hamburger Ahzumjot. Der versöhnte bereits im Frühjahr mit Cro und Rockstah im Uebel & Gefährlich den Sound der US-Gangsta mit dem Problembewusstsein des Conscious Rap.

Aber das sind nur einige von vielen Eindrücken auf dem Wilhelmsburger Spannungsfeld. Weitere hinterlassen Taprikk Sweezee, DJ Lefto, DELS, Débruit, Teebs, Sun Glitters, Robot Koch, Dexter, SAM, Gordon Gieseking, Long Arm, The Beep, Damu, Stoecker Stereo und Lucky Drama. Hingehen, um nicht stillzustehen.

Spektrum Sa 21.7., 14.30, Reiherstieg Hauptdeich (S Veddel + Bus 13 bis Veringstraße Mitte), Alte Schleuse 23, Karten zu 23,- im Vorverkauf, Tageskasse 25,-; www.spektrum.ms

Ein Mixtape von Master Quest zum Reinhören ins Festivalprogramm: