“Packeis“ - die Graphic Novel des Hamburgers Simon Schwartz ist eine packende Bilderzählung mit realem Hintergrund um den Nordpol.

Hamburg. Doch, man kann schon sagen, dass Hamburg die inoffizielle Comic-Hauptstadt ist. Wegen der sehr vitalen Szene, die um die Seminare in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in der Armgartstraße entstanden ist. Wegen Künstlern wie Isabel Kreitz und Simon Schwartz, die zuletzt hochkarätige Graphic Novels veröffentlicht haben. Kürzlich erst bekamen beide die wichtigste deutsche Comic-Auszeichnung: Simon Schwartz erhielt den Max-und-Moritz-Preis für sein Werk "Packeis", Isabel Kreitz für ihr bisheriges Werk, sie darf sich im Jahr 2012 als "beste deutschsprachige Künstlerin" fühlen.

Von Kreitz ist überliefert, dass sie die Ehrung gar nicht so toll fand. Was soll jetzt noch kommen? Gerade mal knapp Mitte 40 und schon so eine Art Auszeichnung fürs Lebenswerk? Von Schwartz ist überliefert, dass er nach Entgegennahme des Preises in Erlangen nach Hessen fuhr. Genauer: nach Gießen. Dort warteten die Schüler einer Hauptschule auf ihn. Er sollte ihnen dort etwas über "Packeis" erzählen, seine packende Bilderzählung, in der von der Eroberung des Nordpols berichtet wird. Machte er aber nicht. Simon Schwartz, 1982 in Erfurt geboren und in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, stellte den jungen Leuten "Drüben" vor, sein Debüt, in dem es um die Flucht seiner Familie aus der DDR geht.

Schwartz erzählte seinen Zuhörern etwas über die noch nicht lange zurückliegende Zeitgeschichte. Seine eigene, gezeichnete Biografie zeigte er mithilfe eines Beamers auf einer Leinwand. Deswegen arbeiten übrigens viele Lehrer ziemlich gerne mit Graphic Novels: Sie machen oft drögen Unterrichtsstoff anschaulich.

In Gießen, sagt der Zeichner Simon Schwartz, "da saßen fast nur Migranten vor mir". Sie lauschten wie gebannt, als er von der Flucht nach Westberlin erzählte, von den Fremdheitserfahrungen - "es war mucksmäuschenstill, dabei hatten die eigentlich gar keine Ahnung von der Teilung Deutschlands".

Aber sie stellten Bezüge zu der eigenen, gebrochenen Biografie her. Ende der Woche hat Schwartz eine Veranstaltung mit Hamburger Schülern im Altonaer Museum. Er mag auch diesen Aspekt seines Berufs, sagt er, "und in Zukunft will ich vor allem öfter auch in Hauptschulen gehen".

Dass Comic-Zeichner mittlerweile oft von ihrem Tun leben können, auch wenn sie anspruchsvolle Bild-Romane zeichnen, ist so neu nicht mehr. Gleiches gilt dafür, dass ihre Fans in großen Feuilletonredaktionen und Lehrerzimmern sitzen: Die Edel-Comics adaptieren literarische Stoffe, zeichnen die Biografien von Personen der Zeitgeschichte nach und sind alles in allem in der Lage, einen Gesellschaftsroman unserer Tage darzustellen. Ob sie dabei Comics genannt oder unter dem Modebegriff Graphic Novel geführt werden, ist Schwartz egal. Und das nicht nur, wenn er mit Hemd und auf sympathische Weise nachlässig verknittertem Pullover in der Küche eines Arbeits-Ateliers am Hein-Köllisch-Platz sitzt.

Er teilt es sich mit anderen Künstlern. Das Büro von Isabel Kreitz ist übrigens nur um die Ecke, "man kennt sich in Hamburg", sagt Schwartz und preist in dem Zusammenhang besonders das Engagement des Zeichners Sascha Hommer: Der hat, erklärt Schwartz, das Thema Graphic Novel ordentlich gepusht in Hamburg. Aber die eigentlich treibende Kraft, in ästhetischer Hinsicht, ist Anke Feuchtenberger, deren Seminare die Hamburger Zeichner allesamt besucht haben. Von ihr haben Schwartz, Hommer und Konsorten die Maxime mit auf den Weg bekommen, die als schöpferische Grundlage aller ernsthaften Comics dient: Erzählt Geschichten, die euch wichtig sind. Und das hat Simon Schwartz getan. Zunächst mit der eigenen Geschichte in "Drüben", dann mit der des Matthew Henson in "Packeis".

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Henson war 1909 der erste Mensch, der den Nordpol erreichte. Das wiederum weiß fast niemand. Hensons Schicksal ist eines, das auf der erdabgewandten Seite der Geschichte liegt: Er war schwarz, und einen schwarzen Pionier durfte es vor 100 Jahren noch nicht geben. Simon Schwartz verdichtet die Biografie des Mannes, der als Helfer des ehrgeizigen Entdeckers Robert Peary zum ewigen Eis reiste, zu einer großen Parabel über das Scheitern eines Menschen, der zur falschen Zeit lebte und nicht das bekam, was er verdiente.

Der Rassismus wucherte wie ein Krebsgeschwür in der westlichen Gesellschaft, und so war Henson, der als Waisenkind aufwuchs und Peary in Nicaragua kennenlernte, ein Außenseiter. Peary sollte die Verbindung zwischen Pazifik und Atlantik bauen. Realisiert wurde sie in Nicaragua nie: Peary sah sich nach neuen Aufgaben um und verfiel auf die Idee, den Nordpol zu erobern. Mit ihm wird sein treuer Schatten Henson zum Polarforscher.

Schwartz arbeitet gekonnt mit den Kontrasten Schwarz und Weiß und taucht die kalte und melancholische Story in ein kräftiges Blau. Dem Zeichner kommt es in der Plot-Entfaltung nicht auf Graustufen an. Und so steht Henson, der als sagenumwobener schwarzer Mann Teil der Mythologie der Inuit wurde, in "Packeis", für das vollendet Gute, Peary dagegen für das absolut Schlechte. "Mein Buch ist eine Fiktion, es bildet das wirkliche Geschehen nicht getreulich ab", sagt Schwartz.

Wenn man mit ihm über seine Arbeit spricht, wirkt es immer noch so, als wäre er gefesselt vom Gegenstand. Da ist ein Karton mit seinen Rechercheutensilien, den er bereitwillig öffnet: Bücher, Vorzeichnungen. Dabei ist er gedanklich längst beim nächsten Projekt: Da geht es um den Sohn des Leibarztes der Romanows, der letzten Zarenfamilie, der später Illustrator wurde. Und über das alte Westberlin will Schwartz, der seit 2004 in Hamburg lebt, vielleicht auch mal etwas machen.

Sie sind jetzt die Comic-Platzhirsche, die Zeichner der Generation Hommer und Schwartz. Wenn er Seminare in der Armgartstraße leitet, trifft Schwartz auf talentierte Nachwuchszeichner. Er lacht, wenn er sich deren Können vor Augen führt, so viele Verlage gibt es gar nicht, die all die neuen Graphic Novels veröffentlichen könnten. "Für Comics ist es die beste Zeit in Deutschland, die es je gab", sagt Simon Schwartz.