“Sister Morphine“ Marianne Faithfull, das Rollenmodell des Swinging London, kommt am 16. Juli für ein Konzert in die Hamburger Fabrik.

Hamburg. Wenn Marianne Faithfull am 16. Juli in der Fabrik Folk, Rock und Pop aus fünf Jahrzehnten Revue passieren lässt, wird mancher vielleicht staunen: Das ist die wilde Muse von Mick Jagger , die 1969 mit der Richards/Jagger-Komposition "Sister Morphine" in ihre eigenen Drogenabgründe hinabschaute? Die 1968 im Film "The Girl On A Motorcycle" dem Alternativtitel "Nackt unter Leder" alle Ehre machte?

Auf Kampnagel erschien sie vor zwei Jahren als (zweifache) Großmutter, Jahrgang 1946. Weiße Plissee-Bluse, eine Altersgenossin im Publikum und ihren Enkel herzend. Dazu fragte sie immer wieder, ob auch alles gut sei, wie ein Tantchen beim Kaffeekränzchen, die sich davor fürchtet, dass jemand den Kaffeefleck auf dem Häkeldeckchen unter dem Blechkuchen entdecken könnte.

Natürlich war das reine Fassade, hinter die man in Songs wie "Sister Morphine" oder "Broken English" blicken durfte. Denn Faithfull hat viel gemeinsam mit der von ihr verkörperten Figur "Irina Palm" in Sam Garbarskis gleichnamigem Film von 2007.

Faithfull spielt darin die einfache Kleinstadtbewohnerin Maggie, die alles dafür tut, um die Kosten für die Behandlung ihres todkranken Enkels aufzubringen. In letzter Konsequenz geht Maggie anschaffen und befriedigt als "Irina Palm" mit ihrer Hände Arbeit Freier auf Freier. Am Ende gewinnt das Gute und nicht die Moral. Auf der Berlinale 2007 gab es dafür am Ende 20 Minuten gerührten Applaus.

Eine vermeintlich unscheinbare Persönlichkeit, die sich gegen Schicksale stemmt, das ist Maggie wie Marianne. 1965, bereits als junges Folk-Talent gehandelt, verließ sie nach wenigen Monaten Ehe Mann und Kind, um sich einen Rolling Stone zu angeln. Mit dem Stones-Song "As Tears Go By" landete sie schon 1964 einen Hit. "Ich schlief mit dreien und entschied, dass der Leadsänger die besten Aussichten bot", erzählte sie dem "NME".

Und der "Rock 'n' Roll Circus" nahm Fahrt auf. Faithfull inspirierte und faszinierte, derilierte und kollabierte. Ein Rollenmodell der Zügellosigkeit, dem die Beatles "And Your Bird Can Sing" (als Antwort auf Jaggers Prahlereien) oder die Stones "Wild Horses" widmeten.

Bis Mitte der 80er trieb sie im Strudel aus Abstürzen, Trennungen, Fehlgeburten, Selbstmordversuchen. Sie feierte Erfolge mit Alben wie "Marianne Faithfull" (1965) oder "Broken English" (1979), fiel aber dazwischen derart tief, dass sie Anfang der 70er-Jahre jahrelang auf den Straßen Londons lebte. Im Schatten des Ruhms, mit Heroin als einzigem Trost, verlor sie die Hoffnung und die einst zart trällernde Stimme.

Erst der Entzug und "Strange Weather" (1987) brachten sie wieder in eine Spur mit Perspektive, die bis zum aktuellen Werk "Horses And High Heels" (2011) führte. Ob eigene Songs oder Material von Elton John ("Love Song"), Faithfull verleiht nach wie vor jedem Stück durch die Wucht ihrer Biografie einen eigenen Unterton. Stimmlich gebeugt, aber geistig aufrecht. So ist sie ein Rollenmodell geblieben, eins des Überlebens, des Bewahrens der Würde.

Jetzt, mit 65, ist aus dem Wildfang aus Swinging London die Dame geworden. Am Ende des Tages sitzt sie und schaut den Kindern beim Spielen zu. Die Tränen sind getrocknet.

Marianne Faithfull, Gemma Ray Mo 16.7., 21.00, Fabrik (S Altona), Barnerstraße 36, Karten zu 39,50 im Vorverkauf; www.mariannefaithfull.org.uk