Trockener wird's nicht: Justin Vernon und seine Band Bon Iver besiegen die Stadtpark-Wolken und geben ein schönes Konzert

Hamburg. Den Tag über, erklärt ein sichtlich gut aufgelegter Justin Vernon, wirklich den ganzen Tag über habe man sich Sorgen gemacht. Wegen der Stürme, "und jetzt schaut euch das an". Der Mann, Typ Holzfäller aus Wisconsin, deutet in Richtung ... ja, wohin eigentlich? In die Muschel vor der Bühne im Stadtpark, in der mehr als 4000 Menschen stehen? Oder in die Kulisse: mit sachte im milden Wind wiegenden Bäumen und lockerem Gewölk?

Er hat das alles gemeint, das Ambiente, die Menschen und den Himmel. Vernon ist der Kopf und das Kraftzentrum der amerikanischen Musikband Bon Iver. Die zählt derzeit neun Mitglieder und ist längst weit mehr als ein Geheimtipp. Zwei fabelhafte Alben hat Bon Iver bislang aufgenommen. Das Debüt "For Emma, Forever Ago" brauchte nicht mehr als eine akustische Gitarre und Vernons Falsettgesang. Das zweite Album "Bon Iver, Bon Iver" ist dagegen das pure Kontrastprogramm und klingender Überschwang. Heißt: Wir hören Bläser, Streicher, Gitarren. Und Vernons Falsettgesang.

Der 31-Jährige hat eine kräftige Stimme, die als Bariton, ja als Bass sehr gut klingt. Zum Stilmittel ist ihm allerdings das Singen mit der Kopfstimme geworden. Der schmerzhaft schöne Gesang navigiert den Hörer durch komplexe Klangkunstwerke, für die der Begriff "Art Rock" durchaus zulässig ist. Es beeindruckt, wie wohlklingend die Big Band die Songs von "Bon Iver, Bon Iver" auf die Bühne bringt. Es sind gleich zwei Schlagzeuger, die den zartbitteren Kompositionen ("Perth", "Calgary") ein druckvolles Rhythmusfundament geben. Und manchmal unterstützt sie dabei noch ein Percussionist. Dessen Hauptjob ist es freilich, Posaune zu spielen. Wer in Justin Vernons Band ist, sollte mindestens zweierlei können - wie zum Beispiel der Gitarrist, der auch Geige spielt. Am besten ist es aber, wenn man zusätzlich noch ziemlich hoch singen kann, Mr. Vernon selbst hält viel davon, wenn seine Stimme von einem Chor getragen wird.

Es stehen ein paar Leuchter auf der Bühne, die allerdings kaum je Glanz verbreiten. Und die bräunlichen Lappen, die von der Bühnendecke baumeln, fallen kaum auf. Seltsam, diese visuellen Elemente! Braucht aber auch niemand: Der Bon-Iver-Sound beansprucht alle Aufmerksamkeit.

Es ist schön zu sehen, wie selig sich die Indie-Kids, Studenten und Pop-Connaisseure (sie kamen auch aus Skandinavien oder Holland nach Hamburg) von den heißen Hymnen ("Skinny Love"), wilden Rockereien ("Blood Bank") und fragilen Tongebilden ("To-wers") gefangen nehmen lassen.

Vernons hemdsärmelige Art (der Typ hat Koteletten, Donnerwetter) ist übrigens kein Widerspruch: Die Harten sind manchmal die ganz Zarten. Und kaum jemand kann seine Verzweiflung, die andernorts als "honiggolden" bezeichnet worden ist, in so formvollendete Trauergesänge gießen. Man stand zunächst etwas unsicher im Stadtpark: Auf der Bühne tänzelte Channy Leaneagh sehr süß zu den Songs der etwas zu sehr gehypten Vorband Poliça. Aber der Blick ging auch oft gen Himmel: Wie nass wird's denn?

Der Sommer ist ja ziemlich eigenwillig in diesem Jahr - eigenwillig, wie junge Frauen manchmal sind: In der Gruppe neben uns sieht es so aus, als seien sich ein verliebter junger Mann und seine Begleiterin sehr zugeneigt. Aber erst spät halten sie Händchen - unter makellos blauem Himmel. Daher kommt es, dass einer den Sturm wegsingt, den Regen und die Wolken - und ein anderer die Liebe findet.