Zwischen Bergen und Köln, Amsterdam und Memel: Das Ostpreußische Landesmuseum Lüneburg zeigt Kommunikation und Mobilität im Mittelalter.
Lüneburg. Wer sich im Mittelalter von Brügge im westlichen Flandern nach Lübeck aufmachte, brauchte zu Fuß 23 Tage. Mit dem Fuhrwerk dauerte es aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse sogar 34 Tage. Ein Eilbote schaffte es auf einem guten Pferd immerhin schon in acht Tagen. Wer die etwa 700 Kilometer lange Strecke heute im Auto zurücklegt, braucht dafür nur siebeneinhalb Stunden, sofern er nicht im Stau stecken bleibt. Doch trotz der langen Reisezeiten gab es im Mittelalter einen intensiven Austausch von Informationen, Menschen und Waren zwischen so weit entfernten Städten wie Bergen und Köln, Amsterdam und Memel. Wie das funktionierte, zeigt jetzt die Ausstellung "Vertraute Ferne. Kommunikation und Mobilität im Hanseraum" im Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg mit originalen Objekten aus 40 Museen und Archiven aus sieben europäischen Ländern.
Obwohl in Lüneburg jetzt einzigartige Dokumente wie die früheste, 700 Jahre alte deutsche Elle oder die erste schriftliche Fixierung des Dortmunder Stadtrechts von 1250 oder auch das älteste erhaltene Exemplar eines Seebuchs bei spärlicher Beleuchtung hinter Sicherheitsglas präsentiert werden, geht es in der Schau weniger um historische Kostbarkeiten, sondern vielmehr darum, die Internationalität der Hanse als einen erstaunlich einheitlichen Kulturraum vorstellbar werden zu lassen.
"Außerdem wollen wir mit einer Reihe populärer Irrtümer aufräumen. So ist es zum Beispiel Unsinn, die Hanse als frühen Vorläufer der EU zu bezeichnen, denn sie verfügte weder über staatliche Strukturen noch über hierarchische Organisationsformen, sondern war vor allem ein Netzwerk für Kaufleute", sagt Joachim Mähner, der Direktor des Museums.
Was er und die anderen Kuratoren in den Mittelpunkt der Ausstellung rücken, ist vor allem die erstaunliche kulturelle Homogenität. Dabei geht es nicht nur um die Backsteingotik, die den Städten im Ostseeraum und darüber hinaus ein unverwechselbares Gesicht verliehen hat, sondern auch um die gemeinsamen Rechtsnormen, die recht einheitliche Kleidung und die niederdeutsche Sprache als Lingua franca. Oder auch um die gleichartige Frömmigkeit, die in der Verehrung derselben Heiligen zum Ausdruck kommt, bis hin zur Verwendung derselben Alltagsgegenstände. Wenn Archäologen in Groningen oder in Klaipeda, dem früheren Memel, eine mittelalterliche Abfallgrube untersuchen, stoßen sie zum Beispiel auf dieselben Keramikscherben von Haushaltsgefäßen, die oft von weit entfernt lebenden Handwerken hergestellt worden waren. Ein Hamburger Kaufmann fühlte sich einem Kollegen aus dem weit entfernten Nowgorod viel mehr verbunden als zum Beispiel einem Kaufmann aus Nürnberg.
Zu den populären Irrtümern gehört auch die Vorstellung, der Transport wäre ausschließlich mit der berühmten Kogge über die Meere abgewickelt worden. Auf einer interaktiven Karte können die Ausstellungsbesucher sehen, wie wichtig die Landverbindungen waren. Immerhin gehörten Köln und Dortmund zu den wichtigen Hansestädten. Aus einem vermutlich Ende des 14. Jahrhunderts in Brügge entstandenen Streckenverzeichnis, das als Leihgabe aus der Universitätsbibliothek Gent nach Lüneburg kam, sind die Orientierungspunkte zusammengetragen worden, mit deren Hilfe Kaufleute und Pilger den Weg zwischen den wichtigsten wirtschaftlichen und religiösen Metropolen fanden. In einem prachtvollen Seebuch finden sich die Landmarken, die es den Seefahrern in Küstennähe ermöglichten, auch ohne Kompass auf Kurs zu bleiben.
Über Politik und Wirtschaft, Krieg und Frieden verhandelten die Abgesandten der Städte seit Mitte des 14. Jahrhunderts auf den Hansetagen, die meistens, aber keineswegs immer in Lübeck abgehalten wurden. Wenn man sich traf, mussten die Gastgeber stets auf Einfluss und Rang der einzelnen Hansestädte achten, was zum Beispiel auch in der Sitzordnung zum Ausdruck kommt. Das können Ausstellungsbesucher in einer interaktiven Mitmachstation selbst ausprobieren: Wenn sie den Rang der einzelnen Hansestädte beim Hansetag 1418 nicht richtig einschätzen und die mit Wappen versehenen Sitzkissen an der falschen Stelle platzieren, riskieren sie eine Kissenschlacht.
Einige Originale solcher kostbar gewebten Kissen kann man gleich nebenan hinter Glas bewundern: 1576 hat sie der Lüneburger Rat bei einem niederländischen oder flandrischen Weber in Auftrag gegeben. Auf einem Fuhrwerk könnte die wertvolle Fracht bei der Lieferung damals einen ganzen Monat unterwegs gewesen sein.
"Vertraute Ferne" Kommunikation und Mobilität im Hanseraum, Ostpreußisches Landesmuseum Lüneburg, Ritterstraße 10, bis 14.10., Di-Do 10.00-18.00