Mehr als vier Jahrzehnte Filmgeschichte: Das Porträt “Woody Allen: A Documentary“ liefert sehenswerte Innenansichten des berühmten Regisseurs.

Wenn es eine Konstante unseres Kino-Daseins gibt, dann wohl die Filme von Woody Allen. So gesehen ist eine Dokumentation über den Regisseur immer auch ein Stück Filmgeschichte, genau genommen mehr als vier Jahrzehnte Filmgeschichte. So lange schon dreht Woody Allen in verlässlichem Rhythmus einen Film pro Jahr, auf den Zuschauer und Programmkinobetreiber dieser Welt gleichermaßen sehnsüchtig warten. Ob New York, Rom oder London, ob Scarlett Johansson, Naomi Watts oder Diane Keaton - wo und mit wem die Lebensherbstkomödien des Regisseurs ihren Verlauf nehmen, ist fast schon egal. Bei Woody-Allen-Filmen ist der Filmemacher der Star, ob er selbst mitspielt oder nicht. Und zur Abwechslung ruht die Last einmal nicht auf den Schultern der Schauspieler, sondern allein auf den schmächtigen Exemplaren von Mr. Allen.

Wie aus Woody, dem komischen Tollpatsch mit dem Faible für Slapstick-Nummern, Woody Allen, der Kinogott, wurde, der bloß den kleinen Finger zu heben braucht, um die Heiligen der Branche mit dem Schwanz wedeln zu lassen für eine klitzekleine Rolle, zeigt der Film von Robert B. Weide, der weniger ein Porträt ist als eine auf Zelluloid gebannte Heldenverehrung. Komischerweise stört diese Fanhaltung nicht im Geringsten - und man muss nicht jeden einzelnen Woody-Allen-Film schätzen, um von seinem Gesamtwerk ähnlich fasziniert zu sein wie Weide. Unter den Top-Ten der besten Filme aller Zeiten mag vielleicht kein Allen-Film sein; von der Liste der wichtigsten Regisseure dürften ihn nur sehr humorlose Menschen streichen.

Zwei Jahre erlaubte Allen dem Dokumentarfilmer, ihn zu begleiten, buchstäblich bis ins Schlafzimmer seiner New Yorker Wohnung. Dorthin, wo noch jeder Allen-Film seinen Anfang genommen hat, als Notiz auf dem Bett. Die wandert in den meisten Fällen zu den handschriftlichen Schnipseln, die Allen für einfallsklamme Zeiten hortet, oder aber sie schafft es auf den Schreibtisch, gleich neben die berühmte Schreibmaschine der Marke Olympia. Mit 16 hat er sie gekauft, sie funktioniert immer noch "wie ein Panzer", sagt Allen. Auf ihr tippt er im Zehnfingersystem jedes seiner Drehbücher; Copy and Paste à la Woody geht dabei so: Mit der Schere wird die betreffende Stelle fein säuberlich ausgeschnitten, mit dem Tacker anderswo wieder angeheftet. Allein für diese Miniszene lohnt sich der Kinobesuch.

"Woody Allen: A Documentary" ist wie ein besonders gelungener Film des Regisseurs selbst: komisch und rührend, klug und unterhaltsam. Martin Scorsese kommt zu Wort ("Er kehrt jedes Jahr von Neuem zu uns zurück, erzählt vom Leben, was er tut, was er denkt, wie er sich verändert, wie er sich nicht verändert") und Sean Penn, Mariel Hemingway und Mira Sorvino.

Weide spannt den Bogen von der frühen Kindheit bis zur umjubelten Cannes-Premiere von "Midnight In Paris" - dem erfolgreichsten Allen-Film seit vielen Jahren. Von reinen Slapstick-Komödien hat Allen sich längst verabschiedet, dreht stattdessen Komödien, die von der ganzen Tragweite des Lebens erzählen. Von Liebe und Tod, Neurosen und Psychoanalysen. Dass Meisterwerke wie "Manhattan" und "Annie Hall" auch heute noch mitten ins Herz treffen, beweisen die vielen Filmausschnitte genauso wie die Tatsache, dass Allens Altherrenwitze und sein Insektenforscherblick immer noch pointierter, bissiger sind als die lauwarmen Beobachtungen vieler anderer Filmemacher. Grund genug also, sich weiterhin jeden neuen Woody-Allen-Film anzusehen. Im August startet "To Rome With Love".

Bewertung: empfehlenswert

" Woody Allen: A Documentary ", USA 2012, 113 Min., o. A., R: Robert B. Weide, täglich im Abaton (OmU), Koralle, Passage, Zeise (OmU); www.woody-doc-derfilm.de