Der Kontinent ist Woody Allens große Liebe . Auch in dem neuen Film “Midnight In Paris“ mit Owen Wilson. Carla Bruni-Sarkozy in Nebenrolle.

Hamburg. Woody Allen geht fremd. Seit Jahren bereits lebt der amerikanische Regisseur seine Leidenschaft zum filmischen Geschichtenerzählen in Europa aus. Die jüngste Frucht dieser Liaison kommt heute in die Kinos, "Midnight In Paris". Und wie das so ist mit Affären: Sie beleben, sie inspirieren, sie verjüngen. Und weil es ja nur um Kino geht, kann einem deswegen keiner so richtig böse sein.

Allens Liebe zu Europa, dem Mutterkontinent zahlloser Einwanderer in die USA, begann 1992, als er sich in einem hässlichen Sorgerechtskrieg mit Mia Farrow befand. Die hatte entdeckt, dass ihr Lebensgefährte und Vater eines gemeinsamen Sohns ein Verhältnis mit ihrer 21-jährigen Adoptivtochter Soon-Yi hatte. Der Skandal war beträchtlich, Allen, damals 56, und Soon-Yi betrachteten ihn lieber von Venedig aus, wo sie ein paar Jahre später auch heirateten.

Venedig und Paris kamen dann 1996 in einem seiner Filme vor ("Alle sagen: I Love You"). Doch erst 2005 drehte er mit "Match Point" seinen ersten Film, der nur in Europa spielt. Danach entstanden drei weitere Filme in London. "Vicky Cristina Barcelona" nennt den Drehort im Filmtitel, ebenso "Midnight In Paris". Zurzeit dreht Allen in Rom.

Psychoanalyse, abendländische Kultur und jüdischer Witz, das reizt Allen

Deutschen Reportern machte der 75-jährige Regisseur zuletzt mit Filmprojekten in München oder Berlin den Mund wässrig. Aber Karatschi, Mexico City oder Peking? Unwahrscheinlich. Allens Neugier und Fantasie entzünden sich nicht an der Stadt an sich, sondern vielmehr an dem, was Europa in seinem System und dem seiner Vorfahren angelegt hat: Psychoanalyse, abendländische Kultur, der jüdische Witz. Seit "Match Point" kehrte Allen nur einmal zurück in die Stadt, die so lange untrennbar mit ihm verbunden schien: nach New York ("Whatever Works").

Midnight in Paris: Alles auf Anfang?

Über den Rest von Amerika hatte Woody Allen noch nie eine gute Meinung. Schon in "Der Stadtneurotiker" (1977) lästert er über Los Angeles, er wolle keinesfalls "in einer Stadt leben, deren einziger kultureller Vorteil es ist, dass man bei Rot rechts abbiegen darf". Das wäre in New York undenkbar, schließlich gibt es dort noch Menschen, die sich zu Fuß vorwärtsbewegen, und die betrachten es als Geburtsrecht, die Straße bei egal welcher Ampelfarbe zu überqueren. New York aber, ohnehin schon die europäischste aller amerikanischen Städte, ist für Allen offenbar auserzählt.

Ob Städte Fußgängern gehören oder nicht, ist für die Handlung von Filmen nicht ganz unwichtig. Die Antwort auf diese Frage entscheidet über Drehorte und über Dialogformen, teilt etwas mit über die Selbstwahrnehmung der Figuren und, buchstäblich, über ihren Lebenswandel. So kann sich der Amerikaner Gil (Owen Wilson), die Hauptfigur in "Midnight In Paris", nichts Schöneres vorstellen, als in Paris im Regen spazieren zu gehen. Seine Verlobte Inez (Rachel McAdams) und ihre herrlich bornierten, der Tea-Party-Bewegung zuneigenden Luxus-Shopper-Eltern finden die Vorstellung grässlich, nicht nur deshalb, weil man dabei unnötigerweise nass wird. Gil ist ihnen suspekt. Ein beunruhigend unamerikanischer Romantiker, der im alten Europa plötzlich seine Seele singen hört.

Wie auch in "Vicky Cristina Barcelona" gewinnt Allen aus dem Aufeinanderprallen beider Kulturen allerhand Film-Stoff, wobei das Strickmuster in "Midnight In Paris" um einiges gröber ausfällt, sarkastischer, politischer. Die Ressentiments der Rechten in den USA gegenüber Frankreich geben Allens bezaubernder Retro-Huldigung an das Paris der 20er-Jahre einen Unterton, der das Land bis in die Musik hinein als Sehnsuchtsort eines besseren Amerika erscheinen lässt. So war Sidney Bechet, dessen Klarinettenmelodien den Film einleiten, Amerikaner nur von Geburt. Begraben liegt er dort, wo er glücklich war: in Frankreich.

Paris, London, Barcelona sind für Allen Horte einzig der Kultur

Als Europäer durchwandert man Allens Filmbilder indes mit staunenden Augen - und mit leichtem Stirnrunzeln. So treuherzig-touristisch, wie dieser Verehrer unseres Kontinents seinen Kameramann Paris, London, Barcelona oder Oviedo schönfilmen lässt als Horte einzig der Kultur, schöner Menschen und noch schönerer Bauwerke, kann wohl nur jemand auf diese Orte blicken, der unrettbar in sie verschossen ist. Dabei zuzusehen, wie die Liebe auch einen so klugen und witzigen Mann wie Woody Allen blind macht, bereitet allerdings sehr viel Vergnügen.