27 Jahre nach “Taxi nach Paris“ stellt Michy Reincke im Tivoli sein neues Album vor - ein Abend wie ein Triumphzug

Hamburg. Das Cover wirkt wie eine Mischung aus Kunstaktion und kommerziellem Selbstmordversuch. Es zeigt nur ein Foto, keinerlei Schrift. Mitten auf einer steinernen Treppe in irgendeinem Park der Welt kniet ein Mann, wir sehen ihn von hinten. Er ist barfuß, die Hände hängen herab, der Mann schaut auf die Stufen, die nach unten führen. Im dunklen Haarkranz auf dem Kopf verrät eine lichte Stelle: Ganz jung ist der Mann nicht mehr. Allem Anschein nach dreht uns da Michy Reincke himself den Rücken zu. Mit diesem wagemutigen Anti-Marketing bringt der Hamburger Singer/Songwriter heute sein neues Album "Der Name kommt mir nicht bekannt vor" (Rintintin) in die Läden.

Ebenfalls heute spielt Michy Reincke die letzte seiner drei ausverkauften Shows im Tivoli. Die Premiere am Mittwoch wurde zum Triumphzug für den Sänger und seine Band; freilich erst im zweiten Set des Konzerts. Kompromisslos in der Trennung zwischen Alt und Neu, hatte Reincke das Publikum zunächst mit nichts anderem als neuen Liedern gefüttert. Das fraß ihm zwar aus der Hand, fremdelte aber doch mit all den neuen Tönen und Texten.

Und freute sich, auf der Bühne den bekannt Unbeugsamen wiederzufinden. "Der Name kommt mir nicht bekannt vor" - die Zeile fiel Reincke ein, als er las, dass die Leute selbst an Joshua Bell, der für seine Auftritte Höchstgagen kassiert, achtlos vorüberlaufen, wenn der Star incognito mit Wollmütze und Schmuddeljeans in einer Chicagoer U-Bahn-Unterführung Bach-Partiten auf seiner 3,5-Millionen-Stradivari spielt. Was für eine schräge Welt, in der nur Namen zählen, Images, Marktwerte, keine Inhalte, dachte er sich. Und: Was bleibt von mir, von dir, von jedem ohne den Namen?

Wer kann das wissen? Die Platte jedenfalls ist gut. Sie ist musikalisch ehrgeizig, versucht überraschende harmonische Wendungen mit manchmal arg schlagernahen Refrains zu versöhnen und ist mit viel Gespür für Zwischentöne arrangiert und produziert. In der munteren, augenzwinkernd selbstreferenziellen Coverversion von "Oh, Champs-Elysées" und dem Lied "Unsichtbare Riesen" frönt Reincke dem französischen Chanson, bei "Du brennst immer noch ein Loch in mein Herz" kommt der Sound der Blaxploitation-Filme der frühen 70er-Jahre zu Ehren, mit puckerndem Wah-Wah von Jörn Heilbuts toller E-Gitarre, Streichersounds und einer Basslinie, die runtergeht wie warmes Öl.

Im zweiten Teil des Konzerts wurde dann im Songbuch zurückgeblättert bis zu den Anfängen. Der Sänger und seine Band spielten ihr Publikum in einen Rausch des Wiedererkennens, dem Reincke mit seiner soliden Ironie freilich alles Nostalgische austrieb. Spätestens hier, im bisweilen ans Ekstatische grenzenden Freispiel, wurde deutlich: Dieser Mann ist identisch mit sich selbst. Egal, wie lang das reale "Taxi nach Paris", mit dem er und seine erste Band Felix de Luxe vor 27 Jahren in den Charts vorfuhren, schon auf dem Schrottplatz verrottet: Das maßlos Junge in diesem Lied bringt Reincke so überzeugend rüber wie damals. "Für immer blond", "Valérie, Valérie", "Nächte übers Eis" - 1000-mal gespielt und immer noch Spaß dabei.

In vielen Songtexten und Moderationen offenbart sich dieser Freudenrocker zugleich als ziemlich spiritueller Mensch, der bisweilen ordentlich mit sich hadert. Er braucht weder Heiligenschein noch Mantragesänge, um seine Botschaft zu verbreiten, die da lautet: Das Leben ist ein Wunder. Schau über das Greifbare hinaus. Vergeude deine Zeit nicht, pflücke den Tag.