Maria Ursprungs zauberhafte, federleichte und komische Inszenierung von Gert Jonkes “Insektarium“ für die Garage des Thalia.

Hamburg. Habe ich das jetzt geträumt oder ist das tatsächlich so? Diese Frage stellt sich mit den Figuren in Gert Jonkes "Insektarium" auch der Zuschauer nach Maria Ursprungs federleichter, komischer und zauberhafter Inszenierung im Thalia in der Gaußstraße. Oda Thormeyer, Josef Ostendorf und Julian Greis sind brillante und erfahrene Schauspieler, die mit Jonkes poetischen Sprachkompositionen nicht nur musikalisch jonglieren, sondern ihr auch psychologische Untertöne verleihen, um etwas über unglückliche Beziehungen zu erzählen.

Der österreichische Schriftsteller Gert Jonke (1946-2009) ist eine Ausnahmeerscheinung. Ein "Dichter der Menschenfreundlichkeit", wie ihn Thalia-Intendant Joachim Lux nennt, der sein Werke herausgegeben hat. Der mit vielen Auszeichnungen bedachte Fantast und Sprachspieler ist in der Nachfolge der konkreten Poesie von Ernst Jandl und der Wiener Schule zu sehen. Jonke komponiert Sprache wie in einer Partitur, darin seinem Gegenpart ähnlich, dem Menschenfeind Thomas Bernhard. Jonke schreibt quasi mit Kopf und Körper, gibt seinen Träumen Raum und Sprache, in denen Dinge und Menschen, Tiere und Bäume und auch ein Zimmer reden. Im Gegensatz zu Elfriede Jelinek ist er hier vor allem Literatur-Freunden- und -Wissenschaftlern bekannt. Die Theater zeigen seine Stücke kaum. Eine denkwürdige Hamburger Aufführung gab es allerdings: Ulrich Wildgruber spielte dessen Theatersonate "Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist" 1993 an den Hamburger Kammerspielen, brachte furiose und virtuose Sprachmusik mit dem Blitzeblick eines Genies zum Klingen.

Für ihre Inszenierung von "Insektarium" hat Maria Ursprung aus den häufig monologischen Texten drei zentrale Dialog-Szenen ausgewählt und umgestellt, andere einfach weggelassen. "Das Zimmer" bildet den dramaturgischen Rahmen für die beiden anderen: "Elvira und die Stubenfliege" und "Das vergessene Tal". Der Eindruck einer durchgehenden Handlung entsteht, in die Passagen aus den übrigen Texten eingeflochten sind. So erzählen Regisseurin und Schauspieler von einem Paar und doch wieder nicht. Die Szenen bleiben in der Schwebe, trotz konkreter und spielerischer Situationskomik. Hat sich nun die Frau, genannt Elvira, getötet und ist mit einer Stubenfliege fortgeflogen? Oder war der Selbstmord nur eine Angstvorstellung des Mannes? Hat er sich, der Mieter, mit dem Zimmer, das aus dem Kerker des Hauses ausbrechen will, in die Luft gesprengt? Sind denn alle eigentlich schon tot? Spuken sie nur durch die Rauminstallation, die Lani Tran Duc und Anika Marquardt in die Garage hineingebaut haben? Korridor, Bad, Küche, Stube und Schlafzimmer markieren Bodenbelag und zeichenhaftes Mobiliar: Badewanne, Fauteuil, Tisch und Bett. Aber aus der Badewanne sprießen plötzlich Grashalme. Ein schillernder Zellophanstreifen signalisiert den Wasserstrahl aus dem Hahn. Alles ist vorhanden und doch nicht realistisch, irgendwie nicht da. Surreal.

Das Publikum ist Teil des Insektariums und doch Beobachter in dem menschlichen Terrarium einer Wohnung. Es sieht eigentlich einem Geisterreigen zu. Beschworen vom Autor an der Schreibmaschine, spuken der Mann und die Frau durch die Zimmer, beschützt und verfolgt vom "Zimmer". Julian Greis gibt ihm Gestalt. Bleich wie die Wand, undurchsichtig lächelnd, doch siegesgewiss steht er da. Das "Zimmer" ist ein sanfter Rebell auf der Suche nach einem Genossen, um sich zu befreien.

Auch die Frau und der Mann scheinen gefangen zu sein in ihrer Beziehung. Nicht nur, dass sie ihre Namen vergessen, sie weichen sich aus, flüchten voreinander. Doch geben Thormeyer und Ostendorf dieser "Strindberg-Ehe" eine Leichtigkeit und Komik, dass man darüber das Drama vergisst. Sie trippelt auf Zehenspitzen durch die (Traum-)Räume, ist aber durchaus eines harschen Kommandotons fähig, wenn es um die Salami für den Gast, die Stubenfliege, geht. Bei Jonke ist das Insekt "ein herbeigetorkelter Pelzpunkt" (um einen Eindruck der poetischen Sprache zu geben) oder die "Rücksicht in Person", wie Ostendorf mit Vorwurf in der Stimme feststellt und eindeutig die Frau meint. Er gibt den Einsamen, den eifersüchtigen und schuldbewussten Ehemann, den weltabgewandten Dichter in einem.

Gert Jonkes versponnenes und lyrisches Traumspiel verliert sich zwar in skurrilen Fantasien und kuriosen Sprachbildern. Es erzählt aber doch viel Wahres über die liebenswerten Seiten der Menschen und ihre Schwächen.

Insektarium 19., 28.1. u. 3.1., jeweils 20.00, Garage, Thalia in der Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de