Gut gemeint, viel diskutiert, schließlich voll danebengegangen: Die Stücke-Wahl durch Publikum am Thalia-Theater beschert brave Werke von Dürrenmatt und Wilder

Hamburg. Die Katze ist aus dem Sack. Der Gewinner bei der Stücke-Wahl im Thalia-Theater ist Friedrich Dürrenmatt. Seine Komödie "Die Ehe des Herrn Mississippi" erhielt 703 Stimmen und muss in der Spielzeit 2012/13 aufgeführt werden. Ebenso wie der kurzzeitige Spitzenreiter "Peers Heimkehr", ein Musiktheater von Emig/Hopf/Schmidt, auf Platz zwei mit 636 Stimmen und die Nummer drei: Thornton Wilders Schauspiel "Wir sind noch einmal davongekommen".

"Kann man für uns nicht so richtig bestätigen", kommentierte Intendant Joachim Lux das Ergebnis nach der Vorstellung von "Raub der Sabinerinnen". Seit Anfang November konnte das Publikum per Mail, Postkarte oder Stimmzettel für Lieblingsstücke votieren. Auch Romane oder Filme standen zur Wahl. Von Hollywood-Schinken wie "Titanic", stolzen Prosatexten bis zu Klassikern reichte das Spektrum unter den 5529 Vorschlägen. Theaterbesucher waren gefragt, letztlich bestimmten aber Freunde von Autoren per Facebook oder Internet den Wahlausgang, womit der Initiator, Dramaturg Carl Hegemann, offenbar nicht gerechnet hatte. "Wir sind Künstler und stellen keine Regeln auf", verteidigte er sich.

Gregor Hopf hat "Peers Heimkehr" als Musiktheater nach Ibsens Drama weitergeschrieben und mit der Band Van Canto erarbeitet. Deren Titel "Storm To Come" liegt als CD vor, wovon das Projekt bei der Wahl profitierte. "Wir wollen jüngere Leute ansprechen", sagte Autor Hopf. "Die finden das super, wissen endlich, warum sie mal ins Theater gehen möchten." Intendant Lux beschäftigte auch mehr die dubiose "Mississippi"-Wahl. Am Vortag waren in einem Karton 500 Postkarten angekommen, aufgegeben in einem Café in Berlin-Kreuzberg, und katapultierten die Dürrenmatt-Komödie an die Spitze. "Eine Kunstaktion als Antwort auf unsere?", fragte sich Lux. Oder nur ein bösartiger Witz?

Die Publikumsneugier hielt sich in Grenzen. Der erwartete Ansturm zur Stimmenauszählung in der Theaterbar Zentrale blieb aus. Die eingeladenen Gäste, die Theater- und Fachleute blieben weitgehend unter sich bei der Diskussion über Demokratie und Auslosung der Preisträger für die Gewinne. Was Besucher wirklich denken und wollen, haben wir nicht erfahren, bedauerte Faust-Darsteller Sebastian Rudolph. Und Lux musste zugeben: "Die Stimmen der echten Theaterbesucher, derjenigen, die hier sitzen wie Sie, macht die Masse der ein bis drei Stimmen aus." Eine beschämende Bilanz für die mit viel Lärm propagierte Aktion. Nun gilt es, Schadenbegrenzung für den dramaturgischen Schildbürgerstreich zu betreiben. Lux: "Wir werden uns ernsthaft mit den Ergebnissen auseinandersetzen, die Pläne mit Regisseuren und Schauspielern diskutieren und bei der Spielplan-Pressekonferenz Anfang April bekannt geben."

Hegemann musste eingestehen, dem Zufall Tür und Tor geöffnet und die Spielplangestaltung nicht einfacher, sondern schwieriger gestaltet zu haben. Er bedankte sich beim Intendanten, "den Schwachsinn mitgemacht zu haben". Zu spät kommt die Selbsterkenntnis. Und ist nur ein schwacher Trost für die öffentliche Blamage.