Die jungen Wilden der finnischen Performance-Szene, Nya Rampen, gastieren mit “Worship!“ beim Nordwind-Festival auf Kampnagel in Hamburg.

Kampnagel. Drei weiße vieleckige Plattformen beherrschen die Bühne unter einer breiten schmalen Videoleinwand. In existenzieller Lautstärke wird darauf ums Leben und Lieben gerungen. Man kämpft, liebt, weint und bringt einander an den Galgen.

"Worship!" nennt die finnische Performancetruppe Nya Rampen ihre neue Produktion, die beim Nordwind-Festival an der Berliner Volksbühne Uraufführung feierte und am 6. und 7. Dezember beim ersten Nordwind-Ableger in Hamburg auf Kampnagel gastiert. Sie wertschätzt vor allem eines: ein kompromissloses Verausgabungstheater, das sich weder der Sprache noch einer stringenten Erzählung unterwerfen will. Von der besonderen ästhetischen Radikalität in Theater, Performance, Tanz, bildender Kunst und Musik spricht auch Kuratorin Ricarda Ciontos, die das Festival bereits in der vierten Ausgabe in der Hauptstadt betreibt.

Bei Nya Rampen geht es jenseits einer visuell ambitionierten Ästhetik vor allem ums Gesellschaftliche. Die einst liberalen Vorzeigestaaten Skandinaviens verzeichnen bedenkliche politische Erfolge rechter Populisten. Auch damit setzten sich die vier Performer und zwei Performerinnen in "Worship!" auseinander. "Die Verführung durch einfache Ideen ist das Gefährlichste. Man muss dagegenhalten", sagt Nya-Rampen-Mitglied Elmer Bäck, ein eloquenter, vor Energie sprudelnder Überzeugungstäter der Bühne. Auf der Folie der sechs bekanntesten Tragödien Shakespeares, die hier auf ihre zentralen Wendepunkte reduziert werden, kreiert Nya Rampen ein bildgewaltiges Tableau. Es geht um den Glauben in der Welt, um die großen Momente, wie Shakespeare sie in "Romeo und Julia", "Macbeth", "Hamlet", "Titus Andronicus", "Richard III." und "King Lear" beschrieben hat. "Wir verhandeln das Zusammentreffen von Ich und Spiritualität", so Bäck.

Während auf der Bühne die großen Schlachten mit Schild und Schwert toben, bietet eine Box, deren Inneres auf die Videoleinwand übertragen wird, Raum für intime Momente, für Liebesbekenntnisse von Romeo und Julia und solche von existenzieller Verzweiflung. Die zur Collage montierten Textfragmente auf Englisch, Finnisch oder Schwedisch sind übertitelt. Auch wenn nicht jedes einzelne Wort zählt. "Der Abend reflektiert die Bedeutung von Sprache. Es wird so viel geredet. Wir zerstören das Erzählerische", sagt Elmer Bäck. "Ich finde die ganze Suche nach Echtheit auf dem Theater überflüssig. Wir versuchen mit der Bedeutungslosigkeit in Beziehung zu treten. Theater ist doch die größte Fiktion." Eine, die für den Zuschauer nicht immer nachvollziehbar scheint.

Damit einher gehen zentrale Theaterfragen. Kann Repräsentation überhaupt funktionieren? Wie ist die Distanz zwischen Darsteller und Figur beschaffen? "Bei den Proben haben wir mit dem Gestalttherapeuten Markus Grothe gearbeitet, der auch während des Stückes auftritt und uns nach unseren Gefühlen befragt", so Bäck. Die Sitzung spielt sich jeden Abend live vor den Zuschauern ab. Und am Ende, wenn sich zu Fragmenten von "King Lear" alles auflöst, wird aus einer Toilette buchstäblich der Dreck zuoberst gekehrt. "Man muss die Dinge rauslassen."

Rauslassen und die Dinge beim Namen nennen. Dafür stehen die jungen Finnen, die mit Vorliebe Machtstrukturen hinterfragen und sich selbstkritisch mit der Rolle und dem Blick des weißen Mannes in einer patriarchalischen Gesellschaft auseinandersetzen. Bekannt wurden die derzeit in Berlin lebenden Performer hierzulande mit "Conte d'Amour", einer gemeinsamen Arbeit mit den schwedischen Kollegen der Gruppe Institutet. Formal angelegt als Familienaufstellung, reflektierte der Abend die menschliche Tragödie um den österreichischen Fall Fritzl. Beklemmend kreierten die Darsteller aus einem Kellerraum per Video verstörende Bilder von Gefangenschaft und Ohnmacht. Dafür erhielten sie den Preis der diesjährigen Bestenauswahl der Off-Szene, des Impulse-Festivals. Diese jungen Wilden der Avantgarde sind nur ein Programmpunkt, den es beim Nordwind-Festival zu entdecken lohnt.

Nya Rampen: "Worship!" 6./7.12., jeweils 20.30, Nordwind-Festival 6. bis 11.12., 15./16.12., Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20-24, Karten von 5,- bis 15.-, Festivalpass 30/erm. 15,- unter T. 27 09 49 49; www.nordwind-festival.de