Als DDR-Autorin verehrt, später massiv kritisiert: Am Donnerstag ist die Schriftstellerin Christa Wolf im Alter von 82 Jahren gestorben.

Hamburg. Vielleicht war der geteilte Himmel die eigentliche Voraussetzung für ihr literarisches Wirken, denn dem wiedervereinigten Deutschland blieb Christa Wolf bis zuletzt merkwürdig fremd. Gestern ist die Schriftstellerin, die vor 48 Jahren mit der Erzählung "Der geteilte Himmel" über ein Schicksal vor dem Hintergrund des Mauerbaus in Ost und West gleichermaßen bekannt wurde, gestorben. Sie erlag in einem Berliner Krankenhaus im Alter von 82 Jahren einer schweren Krankheit.

Die literarische Karriere der zweifellose namhaftesten Autorin der DDR ist nicht frei von tragischen Momenten: Jahrelang wurde sie auch von der westdeutschen Literaturkritik hoch gelobt, galt gar als Aspirantin für den Literaturnobelpreis, um unmittelbar nach der Wiedervereinigung ins Kreuzfeuer einer merkwürdig pauschalen Kritik zu geraten, deren eifernder Duktus zeitweise fast gnadenlos erschien. Der Fall Christa Wolf wurde damals zum Lehrstück über die Vergänglichkeit öffentlicher Gunst. Nur vordergründig ging es dabei um einen 1990 veröffentlichten, literarisch eher schwachen Text mit dem Titel "Was bleibt", in Wahrheit dagegen um Biografien und Lebenshaltungen unter einer Diktatur, deren Verhältnisse sich jene, die nun forsch und unbefangen darüber urteilten, kaum vorstellen konnten.

Das Buch machte zugleich deutlich, dass mit dem sich abzeichnenden Ende der DDR auch die Identität vieler ihrer Autoren zerbrochen war. Hatte doch das Wort des Schriftstellers in einer Diktatur ohne wirkliche Öffentlichkeit ein ungleich höheres Gewicht als in jeder demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Anfang der 1990er-Jahre galt Christa Wolf im Westen nur noch als "Staatsdichterin".

1929 in Landsberg an der Warthe geboren, hatte sie nach dem Krieg in Jena und Leipzig Germanistik studiert, war begeisterte FDJlerin, bald auch Mitglied der SED und gehörte zeitweise sogar dem Zentralkomitee an. Als sie 1993 einräumen musste, dass sie in ihrer Jugend als überzeugte Kommunistin kurze Zeit unter dem Decknamen "Margarethe" als Inoffizielle Mitarbeiterin für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen war, schien ihr Ruf gänzlich verspielt zu sein.

Aber damit ist keineswegs alles gesagt, denn Christa Wolf gehörte eben auch zu jenen, die 1976 mutig gegen die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann protestierten. Danach wurde sie vom SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" an den Pranger gestellt, und die Stasi sammelte allein in den letzten 20 DDR-Jahren Spitzelberichte über sie, die 40 dicke Ordner füllen. Als "Staatsdichterin" haben die Leser sie in der DDR jedenfalls nie wahrgenommen.

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Mit "Der geteilte Himmel" (1963) und "Nachdenken über Christa T." (1968/1969) hatte sie auch im Westen Erfolg. Und mit "Kindheitsmuster" (1976), einem autobiografisch geprägten Roman über die Kindheit in der NS-Zeit, löste sie in der Kulturzeitschrift "Sinn und Form" eine der ganz wenigen offen ausgetragenen kulturpolitischen Kontroversen der DDR aus. Spätestens jetzt war sie zur wichtigsten Identifikationsfigur junger kritischer Intellektueller in der DDR geworden. Später stellte sie mit "Kassandra" (1983) und dem unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl geschriebenen "Störfall" (1987) Fragen, die offiziell tabu waren - und machte ihren Lesern damit Mut, den scheinbaren Gewissheiten der scheinheiligen DDR zu misstrauen. Kein Wunder, dass ihre Bücher stets schon nach Stunden vergriffen waren und nur unter dem Ladentisch gehandelt wurden. Aber trotzdem war sie keine Dissidentin wie etwa ihr Lyriker-Kollege Rainer Kunze, keine "Unperson" wie Stefan Heym und kein respektloser Fundamentalkritiker wie Wolf Biermann. Christa Wolf litt am Sozialismus, gerade weil sie an ihn glaubte. Sie blieb loyal, obwohl sie ihre Distanz zum DDR-System schließlich nur noch mit Mühe überbrücken konnte.

Felsenfest in ihren Überzeugungen stand sie am 4. November 1989 auf der Tribüne am Berliner Alexanderplatz, als sie das größte Publikum ihres Lebens erreichte. Die Dichterin schien auf der großen Protestdemonstration, die Berliner Künstler fünf Tage vor dem Mauerfall organisiert hatten, ganz eins mit ihrem Volk, ihren Lesern.

Welch ein Irrtum! In Wahrheit hatte sie sich damals schon meilenweit von den Wünschen und Hoffnungen der DDR-Bürger entfernt, nur merkte sie es nicht: Vor 500 000 Menschen rief sie damals zum Aufbau eines demokratischen Sozialismus auf, den kaum ein DDR-Bürger mehr wollte. Unmittelbar danach wurde sie mit schweren Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus eingeliefert.

Vermutlich wird sie schon geahnt haben, dass die DDR, die sie trotz aller Vorbehalte stets geliebt hatte, nicht mehr zu retten war. Als Millionen Ostdeutsche jubelten, war Christa Wolf tief traurig und besorgt.

Nach der Wiedervereinigung geriet sie völlig unerwartet in die Situation, sich rechtfertigen und verteidigen zu müssen. Darin war sie nicht besonders gut, fand oft nicht den richtigen Ton. Aber sie schrieb weiter, 1996 erschien "Medea: Stimmen", 2002 "Ein Tag im Jahr. 1960-2000", 2003 "Leibhaftig" und erst im vergangenen Jahr der in Amerika entstandene Roman "Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud". Die Kritiken waren verhalten, teils wohlmeinend, mehr aber auch nicht. Es ist paradox: Als DDR-Autorin hatte Christa Wolf die Menschen im Osten wie im Westen erreicht, sie war damals sogar beinahe eine gesamtdeutsche Schriftstellerin gewesen. Ausgerechnet nach dem Fall der Mauer ging ihr diese Fähigkeit verloren.

Was bleibt? Der Respekt vor einer außergewöhnlichen Lebensleistung - und Bücher wie "Nachdenken über Christa T." oder "Kindheitsmuster", die neben den besten Werken westdeutscher Nachkriegsautoren wie Heinrich Böll oder Günter Grass wohl auch in Zukunft Bestand haben werden.