Alain Platels Transvestiten-Reigen “Gardenia“ erzählt von der Sehnsucht nach Glück und Liebe und dem Abschied vom Leben und der Kunst.

Hamburg. Alain Platel ist ein Choreograf, der ähnlich wie Pina Bausch im Tanztheater von Menschen und vom Menschen erzählt. In "Gardenia" - bis Sonnabend zu Gast auf Kampnagel - gibt er das glatte Bühnenparkett für Männer frei, die ihren Traum vom Frausein und Starglamour in Wirklichkeit ausleben oder ausgelebt haben. Der mit Frank Van Laecke inszenierte Transvestiten-Reigen "Gardenia" ist weder eine Tunten-Klamotte in Glitzerfummeln noch eine "Käfig voller Narren"-Posse, sondern erweist sich als tragikomische Show über den Abschied vom Leben und von der Kunst, von der Jugend und von der Liebe.

"Ich bin groß, es sind die Filme, die Bilder, die klein geworden sind", sagt die Stummfilmdiva Norma Desmond in "Sunset Boulevard". Dieser Satz fällt auch einmal. Und die transsexuelle Aktrice Vanessa Van Durme schlüpft auch in Normas Maske und Turban. Sie hat die Produktion mit ehemaligen Freunden und Kollegen aus der Transen-Szene auf High Heels gestellt. Und Platel zeigt die Spieler ihres Lebens quasi in Großaufnahme. Er lässt deren Gesten, die ungeschminkten und die geschminkten Gesichter sprechen, anstatt wortreich deren Biografien zu erzählen. Und bewahrt ihnen so das Geheimnis und allgemeine Gültigkeit.

Dass Liebe Leiden bedeutet, dass Leben ein Kampf und dass Glück, mit sich und der Welt eins zu sein, weder zu fassen noch zu halten ist, zeigt eine Schlüsselszene, die so abrupt wie schmerzhaft dem Gender-Mummenschanz zu Ravels "Bolero" folgt. Der einzige junge Mann (Hendrik Lebon) und die einzige echte Frau (Griet Debacker) in der Gruppe liefern sich zu Mahlers "Oh, Mensch gib ach" ein erbittertes Duell zwischen Gewalt und Zärtlichkeit, Trost und Wut. Und zeigen unsentimental in formaler Strenge die immer wieder enttäuschte Sehnsucht jedes Menschen nach Geborgenheit und Glücklichsein. Dieser Traum wird dann beim großen Auftritt für die Herrendamen in "Gardenia" kurz zur Wahrheit, ehe sie die Wirklichkeit einholt.

Gardenia: bis 19.11., 20.00, Kampnagel, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de