Der belgische Choreograf Alain Platel gibt in seiner Show “Gardenia“ die Bühne frei für eine Gruppe alter Herren, die eigentlich Damen sein wollen.

Kampnagel. Der belgische Choreograf Alain Platel macht sich gern für Außenseiter der Gesellschaft stark. Bevor er sich dem Tanz und Theater widmete, hat der ausgebildete Heilpädagoge mit behinderten und sozial benachteiligten Jugendlichen gearbeitet. Auch nach der Gründung des Künstlerkollektivs Les Ballets C. de la B. in Gent, das ihn weltbekannt gemacht hat, beschäftigt sich Platel mit den Leiden und Nöten seiner Mitmenschen.

In seinen Choreografien würfelt er Menschen verschiedener Herkunft oder Klassenzugehörigkeit zusammen. Er spannt klassische Sänger in "Its op Bach" mit fahrenden Künstlern und Straßentänzern zusammen, bringt Kinder auf die Bühne und sogar einen Hund in seiner trashigen Mozart-Hommage "Wolf". Mit anderen Worten: Alain Platel liebt es nicht nur, die Grenzen in den Künsten Tanz und Theater, Klassik und Pop auszureizen, sondern auch die der Gesellschaft. Wofür er nicht nur Lob, sondern zuweilen auch Kritik erntet - wie jetzt für seine elegische Transvestiten-Show "Gardenia".

Männer in Frauenkleidern provozieren automatisch widersprüchliche Reaktionen - zwischen Ablehnung und Bewunderung, zwischen Spott und Faszination. Die belgische Actrice Vanessa Van Durme brachte Platel auf die Idee zum Stück, in dem sie mit früheren Kollegen aus der Transen-Szene auftritt. Auch den Regisseur Frank Van Laecke überzeugte sie. Van Durme, eine transsexuelle Schauspielerin, hatte den Dokumentarfilm "Yo soy asi" ("So bin ich") gesehen. Seine Protagonisten sind abgetakelte Zugpferde aus einem Transvestiten-Kabarett in Barcelona, das nach 100 Jahren einem Parkhaus weichen und geschlossen werden muss.

Auch in "Gardenia" geben die Akteure ihre "letzte Vorstellung". Sie betreten in Anzügen die leere Bühne. Alt, mit Bäuchen, Falten und Tränensäcken stehen sie da. Verloren und einsam. Unmöglich scheint es, sich diese Rentnerfiguren als schillernde Paradiesvögel in einer Show vorzustellen.

Vor etlichen Jahrzehnten waren die Herren Kollegen, die als Damen in Cabaret-Schuppen aufgetreten sind. Wieder vereint, lassen sie ein letztes Mal ihre Vergangenheit aufleben und beginnen ihre Verwandlung. Was für eine Show das ist. Denn mit ihnen betreten auch die Idole ihrer Jugend und Karriere die Bühne: die unsterbliche Marlene Dietrich oder die unverwüstliche Liza Minnelli. Deren Songs sind neben Ravels "Bolero" oder Schmachtfetzen aus "Tosca" und "La Traviata" zu hören - und natürlich Dorothys unvermeidliche internationale Schwulenhymne "Somewhere Over The Rainbow".

Zur Kunst von Alain Platel gehört es, mit den Klischees zu spielen, bis sie eine Art von Wahrheit offenbaren, die dem Zuschauer nicht ermöglicht, sich abzugrenzen. Denn in den Rollenspielen der Männer macht er auch unsere eigenen Verkleidungen sichtbar, die wir tagtäglich ganz automatisch anlegen.

"Gardenia": Mi 16.-Sa 19.11., jeweils 20.00, Kampnagel (U Borgweg, Bus 172/173), Jarrestr. 20, Karten zu 15,- bis 36,-, erm. 10,- u. 8,- unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de