Wie man sich aus der kalten Jahreszeit träumt

Irgendwelche Gegenstände kann man sich ja immer irgendwo hinstellen oder hinlegen, wird schon eine Bedeutung haben. Die Tonfigur aus Griechenland. Das Kunsthandwerk aus Afrika. Das rosarote Stoffschwein. Nippes- und Kitschkram aller Art, Geschmäcker sind verschieden. Einer hat mit einer gläsernen Wasserpfeife seine Butze dekoriert, sie soll ihm Glück bringen. Mit ihr hatte er mal den besten Rausch seines Lebens. Jetzt raucht er schon länger nicht mehr. Die Nachbarin von gegenüber hat, es fällt einem jetzt erst auf, zwei Hufeisen vor der Haustür liegen. Warum flog der Blick immer über das Metall-Gepräge hinweg?

Vielleicht, weil man sich das, was vor fremden Türen liegt, nie so genau anschaut. Meistens findet man dort eh nur Fußabtreter. Die Nachbarin: Sie hat ein sonniges Gemüt. Manchmal läuft sie mit schwerem Gepäck durch das Treppenhaus. Sie ist viel unterwegs. Ob sie jetzt, wo der Reif auf den Straßen und Wiesen, auf den Fensterscheiben und Fahrradlenkern glitzert, wieder das Reisefieber packt? Ob Glück, mag es vom Aberglauben befeuert werden oder nicht, für sie mit Reisen, Sonne, Abenteuer zusammenhängt? Bestimmt.

Das tut es bei den meisten. Wobei Sonne und Sommer die bei Weitem wichtigsten Parameter sind, wenn es ums Wohlbefinden geht. Oder ums Träumen: Wer nämlich nicht wegfahren kann, wenn die Tage kurz und dunkel sind, der ist auf seine Imaginationskraft angewiesen. Und auf die Überzeugungskraft der Scharade, der Verkleidung; schließlich spielen wir im Winter manchmal Sommer.

Wenn wir bei Kälte Cocktails trinken, die genauso heißen und schmecken wie die von der Strandbar auf den Südseeinseln. Manchmal ist man dann viel schneller besoffen als im Urlaub, so erzählen Leute, die gerne Cocktails trinken: Im Sommer ist man entspannter und so was von gut drauf. Da steigt nix schnell in den Kopp.

Den Sommer konservieren, und genau darum geht es den Winter-Nörglern (die mit allem, was sie sagen, recht haben - es sollte nur drei Jahreszeiten geben), den Sommer konservieren die Naiven mit Besuchen im Sonnenstudio. Alle anderen schauen sich unentwegt Fotos auf dem Laptop an. Die Aufnahmen sind nur wenige Monate alt, und doch ist das, was auf ihnen zu sehen ist, eine antike Erscheinung. Das ist ja schon sooo lange her! Grüne Stadtlandschaften, entfesselter Outdoor-Spaß, glückliche Segeltörns, Zivilisationsmenschen außer Rand und Band, strahlende Gesichter, braune Beine, freie Füße, Sommerfrische, hipp-hipp-hurra.

Manchmal sieht man auch Menschen auf der Straße, besonders Frauen und insbesondere in England, die auf Kosten der Gesundheit den Sommer dergestalt in den Winter retten, dass sie sich weiter so anziehen, als sei Sommer. Stichwort: bauchfrei.

Stichwort: Bauch her - der Winter hat auch sein Gutes. Er erlaubt faulen und undisziplinierten Genussmenschen, unter Ausschaltung des kleinsten schlechten Gewissens, fetten Gänsebraten zu essen und kalorienhaltige Cocktails zu trinken. Das sei erlaubter Winterspeck, um bis zum Frühling gut über die Runden zu kommen. Wer die Wampe für einen Gegenstand minderen Werts hält, hat natürlich recht. Die ist so was von gar nicht Sommer, die gehört verboten. Warum sollte nicht das Buch der sommerlichste Gegenstand sein, der uns im Winter von vergangenen paradiesischen Zuständen kündet? Wer Sommer bei Minusgraden haben möchte, der drehe die Heizung auf, öffne das Säckchen mit dem Mallorca-Sand und streue ihn zwischen die Seiten der hohen Literatur. Auch der ein oder andere Wasserfleck kann nicht schaden, um sommerliche Impressionen wieder zu beleben. Und dann schön laut fluchen.