Die “Kunst der Entschleunigung“ ist das Thema einer umfangreichen Ausstellung mit 160 Exponaten von Casper David Friedrich bis zu Ai Weiwei.

Wolfsburg. Zwei Autos kurz vor dem Crash und Johann Wolfgang von Goethe, der in der römischen Campagna ruht: Größer können die Gegensätze kaum sein, die das Kunstmuseum Wolfsburg in seiner neuen Ausstellung "Die Kunst der Entschleunigung" darstellt. 160 Exponate von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei setzen sich mit Bewegung und Ruhe auseinander. Weitere berühmte Namen aus vier Jahrhunderten Kunst wie William Turner, Auguste Rodin, Mark Rothko, Andy Warhol und Joseph Beuys, Gerhard Richter, Thomas Ruff oder Andreas Gursky sind unter den 85 Künstlern.

"Wir treffen den Nerv der Zeit", sagte Museumsdirektor und Kurator Markus Brüderlin über die Ausstellung, die morgen eröffnet wird und bis zum 9. April 2012 dauert. "Es ist die politischste Ausstellung, die es je in diesem Museum gab."

Zeitknappheit, Burn-out, Stress, Umweltkatastrophen und Finanzkrisen: Die Liste aktueller Probleme, die aus dem Fehlen der Balance von Beschleunigung und Entschleunigung resultieren, ist lang. Brüderlin sieht darin "Zwangsentschleuniger" und erklärte dazu: "Die Künstler liefern Modelle, wie man anders mit der Zeit umgehen könnte."

Ein stilles Nachtbild von Caspar David Friedrich, eine Leihgabe der Hamburger Kunsthalle, hängt einem bewegten Seestück von William Turner gegenüber. Die Unruhe unserer Medienwelt mit ihrer Bilderflut wird besonders beeindruckend von Nam June Paiks Videoskulptur (1992) gezeigt. Auf 217 Monitoren, aufgestellt in Form des Brandenburger Tors, flimmern die Bilder in schneller Abfolge. Im Gegensatz dazu: sinnliche Farbfeldmalereien des Amerikaners Mark Rothko.

Vor dem Museum stehen zwei Autos des kalifornischen Künstlers Jonathan Schipper. Noch ist ein halber Meter Luft zwischen ihnen, doch für das menschliche Auge kaum wahrnehmbar sind sie dennoch schon mitten im Crash: Wenn die Schau nach 22 Wochen endet, werden sich die Fahrzeuge ineinander verkeilt haben - pro Tag bewegen sie sich 13 Millimeter aufeinander zu.

Die Entwicklung immer schnellerer Transportmittel, weiter reichender Kommunikationswege und optimierter Produktionsverfahren habe das Lebenstempo seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich erhöht, sagt Brüderlin. "Bis hin zum ,rasenden Stillstand'", zitierte er den französischen Philosophen Paul Virilio.

Die Begriffe Geld und Arbeit hat das Museum über die Werke von Ai Weiwei und Andreas Gursky gestellt. Zwei Keramikschalen lassen an Reisschalen denken. "Statt Reis sind 625 125 Süßwasserperlen darin. Perlen, die nicht satt machen, die aber die Menschen verführen", sagte Museumssprecherin Rita Werneyer. Daneben erinnern Gurskys Fotos an die Hektik der Finanzmärkte.

Ursprünglich habe er nur die Beschleunigung als Aspekt in der modernen Kunst zeigen wollen. "Dann haben wir schnell entdeckt, dass das nur die halbe Wahrheit bedeutet, da ist auch immer die Entschleunigung", sagte Brüderlin. Und so startet die Ausstellung mit einem "Stein des guten Glücks", einer Kugel auf einem Quader, entsprechend dem Denkmal, das Goethe als Sinnbild gelungener Balance zwischen Ruhe und Bewegung vor sein Gartenhaus in Weimar setzen ließ. Die Kugel stand schon bei Goethe für die ruhelose Bewegung, der Quader für Stabilität und Beständigkeit.