Ein leiser Poet mit Gefühl fürs Sprachliche: Niels Freverts neues Album “Zettel auf dem Boden“ versammelt stille Etüden der Beiläufigkeit.

Hamburg. In den Messehallen findet zurzeit die Hanseboot statt. Vor dem Eingang haben sie Werbefiguren aufgestellt, die Pappkameraden posieren mit dem Motto der Ausstellung: "Ich will mehr". Man muss hier nicht unbedingt vorbei, wenn man ins Café SternChance gehen will, das am Ausläufer des Schanzenparks liegt. Niels Frevert kommt aus der Schanze, er geht hinten an der Messe vorbei. Der Herbsttag dämmert, er sagt: "Understatement ist ein Attribut, das gut zu mir passt."

Vielleicht trifft man sich deswegen in besagtem Haus, das seinen Charme aus der Zurückgenommenheit gewinnt: Es duckt sich flacher als jedes andere Gebäude in der Nähe unter den Fernsehturm. Im Garten des Cafés brennt gerade ein Feuer, was mag dort in Flammen aufgehen? - "Manchmal brennt ein Feuer, ohne dass etwas verbrannt wird", sagt Frevert.

+++ Wie schön das Seltsame erscheint +++
+++ Gänsehaut über den Dächern Hamburgs +++

Während man sich noch Gedanken darüber macht, dass das ein Satz mit philosophischer Tiefe sein könnte, während der Musiker in seinem Cappuccino rührt und dabei etwas skeptisch blickt, kommt einem ein neues Frevert-Lied in den Sinn. Es ist ein schönes Lied mit akustischer Gitarre, toller Melodie und hintenraus mit einem Chor. Es heißt "Ich würde dir helfen, eine Leiche zu verscharren, wenn's nicht meine ist" und kommt ohne sprachliche Klischees aus. So ist das stets bei Frevert, seit heute 44, ehemals Vorsteher der Band Nationalgalerie und mittlerweile Solokünstler. Der Mann ist ein ziemlich begnadeter Songtexter, ein leiser Poet mit Gefühl fürs Sprachliche.

Und wenn so einer singt oder spricht, dann will das, was dabei herauskommt, wohlüberlegt sein. Diesmal hat Frevert dreieinhalb Jahre gebraucht, um ein neues Album zu veröffentlichen, immerhin schneller als beim letzten Mal. Jetzt ist also "Zettel auf dem Boden" da, das neue Werk. "Ich will", sagt Frevert, "nur Platten herausbringen, bei denen alles stimmt - sie werden theoretisch für immer zu hören sein."

Natürlich weiß Frevert, dass es nicht nur auf die Wortwahl ankommt, auf die richtige Kombination, sondern auch darauf, wann wer was sagt. Und deswegen sagt er jetzt auch, dass er das mit dem Understatement eben am liebsten nicht gesagt hätte, nein, das wäre ja Quatsch.

Wer das selbst von sich sagt, sagt Niels Frevert, der ist bestimmt alles, aber nicht bescheiden.

Selbstbescheidung, das ist die Kunst, sich zurückzunehmen. Nicht zu viel zu wollen. Perfektion im Kleinen anzustreben. Die Einsicht in das Maßvolle, das wünschenswert ist, um den dröhnenden Imperativen der auf Optimierung angelegten Leistungsgesellschaft etwas entgegenzusetzen. Niels Freverts liebste Begleiterin war, man mag sich kaum daran erinnern, einmal die elektrische Gitarre. Seit "Du kannst mich an der Ecke rauslassen", dem viel gelobten Album aus dem Jahr 2008, aber ist Freverts Musik eine Lektion im Leisetreten. Freverts hübsche Arrangements bauen auf ein Fundament mit akustischen Gitarren und mitunter jazzig geklöppeltem Schlagzeugspiel, und auf der wunderbaren neuen CD "Zettel auf dem Boden" sind noch mehr Streicher und Bläser zu hören als zuletzt.

Wer die Vorgängerplatte geliebt hat, wird auch die neue mögen. Frevert, der sanfte Beobachter von Innenwelten, wendet seinen Blick nun auch mal nach außen. Sei es, dass er einem nicht näher identifizierten Adressaten mit einer zu beseitigenden Leiche helfen will oder sein Augenmerk (in "Schlangenlinien", dem Soundtrack zum Parkspaziergang) auf den alten Herrn legt, der die Eichhörnchen füttert. Frevert ist ein Skurrilitätensucher des Alltags und ein Verfechter des Beiläufigen, immer sensibel, manchmal selbstironisch. Er kann sehr gut damit leben, der Ich-war-gerade-in-der-Gegend-Typ zu sein. Stören will dieser Frevert nicht.

Eher der Typ sein, der mit Songs den Leuten eine gute Zeit bereitet.

Im Frühjahr war er mit seinem Kumpel Tino Hanekamp auf der Lit-Cologne. Hanekamp, Club-Betreiber in Hamburg (Uebel & Gefährlich, Golem) und neuerdings auch Buchautor ("So was von da"), gewann dort den Debütantenpreis. Dabeigewesene behaupten, er hätte den Sieg davongetragen, weil ihn ein Musiker bei der Lesung begleitete. "Das war ein wenig unfair der Konkurrenz gegenüber", sagt Frevert.

Wahrscheinlich ist das so. Wahrscheinlich hat Frevert, der sich die Haare mittlerweile nach hinten kämmt, damals alle in Köln verzaubert und ein paar seiner kleinen, entzückenden Songs geklampft, die das große Ganze benennen können, eben weil sie beinah ohne Pose auskommen.

Aber eben nur beinah; ganz ohne die Vorstellung, was man ist oder gerne sein will, geht es nicht, bei niemandem. "Mit dem, was ich mache, unterscheide ich mich sicherlich von anderen Künstlern", sagt Frevert und meint den Sound seiner Songs und die Nachdenklichkeit seiner Texte. Im Hinblick auf die Lebensumstände des Künstlervolks übrigens unterscheidet er sich nicht von den Kollegen: Man muss in schwierigen Zeiten sehen, dass man seine Rechnungen bezahlen kann.

Der bürgerlich und manierlich gekleidete Mann vor uns ("mein Sakko hat 100 Euro gekostet") arbeitet regelmäßig im Uebel & Gefährlich. Er gibt Führungen im Bunkerclub, und manchmal stellt er bei Lesungen auch mal Stühle auf. Frevert ist Vater einer bald 14-jährigen Tochter, "da will man immer in der Lage sein, die nächsten drei Monatsmieten zu bezahlen".

Die Einstellung ist löblich, und Frevert ist halt auch kein junger Mann mehr. Es kommt schon genug Geld durch die Musik rein, berichtet er, und von der romantischen Vorstellung, die beste Kunst gedeihe in der existenziellen Not, hält er nichts. Zukunftsangst habe er nicht, sagt Frevert.

Nostalgische Anwandlungen übrigens auch nicht. Früher ist früher, und heute ist heute. Einst war Frevert einer der vielen aufstrebenden, hungrigen Liederschreiber in der Musikstadt Hamburg. Heute ist er ein Mann, der seinen Platz in der Nische gefunden hat, bestrickende Songs singt und eine treue Fangemeinde hat. Frevert ist jemand, der schätzt, was ihm das Leben bietet. Vielleicht betrachtet er sein Musikantendasein als Geschenk. "Auf Tour zu gehen", sagt er, "ist etwas Besonderes."

Hinzu fügt er, dass das Allein-auf-Tour-Sein etwas Therapeutisches hat ("Man merkt, dass man das alles hinbekommt") - das ist dann doch mal ein Klischee, wenn auch nur ein kleines.

Lassen wir durchgehen.

Niels Frevert: Zettel auf dem Boden (Tapete). Der Musiker spielt am 8. Dezember mit seiner Band im Uebel & Gefährlich