Rhetorik ist zur Boombranche geworden. Sven Sander verkündet in seinen Kursen, dass Inhalte gar nicht so wichtig sind - sondern die Wirkung.

Das Lied gefällt ihm, Sven Sander summt mit. "Nur noch kurz die Welt retten." Die Rettung der Welt - ein Klacks. Das Lied bespielt den Tagungsraum eines Restaurants im Alstertal, wo Sander heute zwei Frauen und vier Männer erwartet. Sie sind aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Willi, der Zahnarzt, Hans, der Unternehmer, Silvia und Marianne, die Finanzbuchhalterinnen. Dieter, der Manager, und Michael, der Anwalt.

Als alle da sind, dreht Sander die Musik leiser. Er schweigt. Seine Augen suchen Kontakt, der Reihe nach von rechts nach links und wieder zurück. Es ist still im Raum. Er sagt: "Es gibt Dorfzauberer. Und es gibt David Copperfield. Ich mache euch zu Copperfields." Sven Sander, 45, aus Cuxhaven kann Zahlen größer und kleiner erscheinen lassen. Er kann durch gezieltes Fragen Antworten manipulieren. Er spricht eine Sprache, die wie eine Videokassette ist, die man sich in den Kopf schiebt, die Bilder sind sofort da. Die Menschen, die vor ihm sitzen, können das nicht. Sie zahlen viel Geld, um das zu verbessern, was zur Währung geworden ist: ihre Rhetorik.

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"Rhetorik ist entscheidend fürs Image"

Wie kann ich andere überzeugen? Mit welchen Methoden? Die Fragen, die sich schon Philosophen wie Aristoteles oder Cicero stellten, sind heute aktueller denn je. Unzählige Rhetorik-Ratgeber sind auf dem Markt. Das Geschäft mit der Redekunst boomt. Mehr als 5000 Rhetorik-Trainer gibt es in Deutschland. Unter ihnen will sich Sander speziell als Wirkungs-Experte etablieren. Er ist kein Mann für wohl abgewogene Argumente. Sondern ein Mann für Effekte.

Sander war Manager bei der Firma Philips. Vor vielen Jahren forderte ihn sein Chef in einer großen Mitarbeiterversammlung auf, spontan einen kurzen Vortrag zu halten. Sander versagte. Er machte Rhetorik-Kurse an der Volkshochschule, ging zu anderen Trainern. So entwickelte er seine eigene Methode. Er findet, dass viele Produkte und Menschen sich kaum noch unterscheiden. Seine Kunden sollen deshalb Geschichten verkaufen. "Wie Steve Jobs. Der hat mit dem iPhone auch kein Elektronikgerät verkauft, sondern 1000 Lieder in der Hosentasche", sagt Sander.

Seit 2003 ist er als Rhetorik-Trainer selbstständig. Er berät Autoverkäufer, Pharmamanager, Politiker, Anwälte. Er macht Einzelberatung, offene Seminare und Firmenseminare. Bis zu 100 Tage im Jahr ist Sven Sander gebucht, das ist viel, sagt er. Für das zweitätige Seminar inklusive Verpflegung nimmt er rund 1800 Euro.

Man habe Menschen zwei Stunden nach einem Vortrag befragt, was hängen geblieben sei, erzählt der Rhetorik-Trainer jetzt seinen Zuhörern. Das Ergebnis: vom Inhalt gerade noch sieben Prozent. "Von der Wirkung bleiben jedoch 30 Prozent hängen." Sander schreibt die Ziffern 7 und 30 an die Tafel und zeigt auf die 30. "Daran werden wir arbeiten." Seine Schüler kennen sich mit Fakten aus, aber nicht mit Wirkung, erst recht nicht der eigenen. Deshalb werden sie bei ihren Auftritten vor der Klasse von Sander gefilmt.

Willi (Name geändert), 56, Zahnarzt aus Niedersachsen, wird im nächsten Sommer Präsident in seinem Rotary Club. "Da kann es nicht schaden, wenn man eine große Menschenmenge bei Laune halten kann." Unternehmer Hans, 58, aus der Nähe von Osnabrück, führt eine große Maschinenbaufirma und ist an weiteren Unternehmen beteiligt. Er sagt, dass er überzeugender vor Menschen reden möchte - und auch beim Verhandeln besser werden will. Er habe "ein Gefühlsleben für Maschinen", sagt er. Aber nicht fürs Reden.

Die Finanzbuchhalterinnen Silvia, 56, und Marianne, 44, aus der Nähe von Darmstadt möchten in Verhandlungen mit ihren Chefs mehr erreichen. Manager Dieter, 46, aus Bensheim hat schon mehrere Sander-Seminare besucht, er möchte sich weiter verbessern.

Anwalt Michael, 32, aus Hamburg meint, er könne zwar vor Gericht gut auftreten, tue sich aber vor größeren Menschenmengen schwer.

Sander nickt. Dann lässt er seine Schüler aufstehen, sie sollen Paare bilden und sich 30 Sekunden lang in die Augen schauen. "Das ist Energieaustausch. Über den Augenkontakt hole ich mir Aufmerksamkeit, Bestätigung und Energie zurück", sagt er. "Wenn ihr nach unten schaut, sieht das so aus, als ob ihr euch unterwerfen wollt."

Wie stellt man sich am besten hin? Beide Füße nebeneinander, der Abstand schulterbreit, die Oberschenkel angespannt, die Bauchmuskeln ebenfalls. Und die Hände? Die gehören laut Sander auf die Höhe zwischen Gürtelschnalle und Bauchnabel. Auf dieser Höhe sollen sie auch gestikulieren. Wer die Hände hinten hat, verberge etwas, sagt Sander. Wer sie zu weit oben hat, möchte scheinbar lebenswichtige Organe schützen und wirkt ängstlich.

Zahnarzt Willi soll nach vorn kommen und einen Witz erzählen. Er steht dort und wippt mit den Knien. "Merkst du das?", fragt ihn Sander. Nein. Er soll Oberschenkel und Bauchmuskeln anspannen. Willis Blick geht ins Leere. "Sprich mit uns!", ruft Sander. Willi soll jedem Zuhörer eine Nummer zurufen und dabei auf ihn zeigen. Nach der Übung hat Willi die Sache mit dem Augenkontakt verstanden.

Sander möchte seinen Schülern jetzt die "Wirk-Sprache" beibringen. Die Wirk-Sprache benutzt nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart. Ihre Sätze sind kurz, das Wort "und" verströmt Langeweile, jedes "äh" ist verboten. Fachbegriffe und englische Wörter sind tabu. Als "Weichmacher" bezeichnet Sander Wörter wie "innovativ", "effizient" und "prozessorientiert".

Anwalt Michael tritt nach vorn. Er soll eine Geschichte erzählen, Inhalt egal. Er erzählt, dass er und sein Vater einmal mit dem Boot in Seenot geraten sind und niemand ihnen helfen wollte. Michael versucht, die Geschichte möglichst detailgenau zu erzählen, sie wird dadurch immer länger, sie wird langweilig. "Lass jeden Satz wirken!", ruft Sander. Michael soll Pausen machen, "denn Pausen sind die Macht des Redners".

Manager Dieter kann das. Er baut sich vorne auf, schaut jedem Zuhörer in die Augen, sagt: "Ich, vor drei Wochen." Er guckt sich beifallheischend um. Sander klatscht vor Freude.

Jetzt will er seinen Schülern beibringen, wie sie die Stilmittel der Griechen nutzen. Rhetorische Fragen zum Beispiel seien super, um Betroffenheit auszulösen, sie stellten Gemeinsamkeiten zwischen Redner und Zuhörer her. Zahnarzt Michael fällt ein: "Würden Sie mit Zahnschmerzen zum Klempner gehen?" Sander ist zufrieden.

Der Höhepunkt des ersten Tages ist eine Kurzrede. Unternehmer Hans soll für das Rauchverbot in Restaurants werben. Er spricht von einem Restaurantbesuch. Von der Vorspeise, der Hauptspeise, der Nachspeise. Von dem Rauch, der ihn dabei gestört hat.

Sander schüttelt den Kopf: "Benutze Bilder! Sag, welche Vorspeise du gegessen hast! Mach es so: 'Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ihrem Partner in ein schönes Restaurant. Und freuen sich auf einen schönen Abend bei Kerzenschein. Sie bestellen eine Vorspeise: leckere Jakobsmuscheln in einem Mantel aus Parmaschinken ...'" Sanders Formel lautet: ohne Bild und ohne Gefühl auch keine Wirkung.

Am nächsten Morgen fragt er: "Kann mir jemand 50 Euro leihen?" Michael kann. Sander nimmt den Schein, zückt ein Feuerzeug, zündet ihn an. Dann schreibt er AAA an die Tafel: "anders als andere" sollen seine Schüler sein. Später wird er auch noch eine Flasche Wasser im Raum verschütten, um ihre Blicke einzufangen.

Von Power-Point-Präsentationen oder Folien auf dem Projektor hält Sander gar nichts. "Das sind Energiefresser." Er braucht nur einen Flipchart und einen dicken Stift: "Große Redner brauchen große Stifte."

Die nächste Wirkungslektion: "Auch schlechte Zahlen könnt ihr gut verkaufen. Sucht die Zahl, die eure Zahl gut aussehen lässt!" Etwa, indem man auf einen noch schlechteren Branchentrend oder die abgeschlagene Konkurrenz verweist. "Und immer in Euro denken! Die Zuhörer wollen wissen, was sie verdienen, was sie sparen", sagt Sander.

Finanzbuchhalterin Marianne stellt sich nach vorne und rechnet vor, warum eine Klinik Geld sparen muss. Dieter rechtfertigt eine Vier in einer Klausur, indem er auf die vielen Durchfaller und den noch schlechteren Notendurchschnitt verweist.

Die Teilnehmer machen einen zufriedenen Eindruck, als das Seminar zu Ende ist. Jeder bekommt von Sven Sander einen dicken Stift. Später wird er ihnen eine DVD mit den Aufnahmen aus dem Seminar zusenden.

Nächste Woche wird Sven Sander in Dresden gebraucht, danach reist er nach Frankfurt, dann nach Köln und wieder nach Hamburg. Noch in diesem Jahr will er eine Ausbildung zum Hypnose-Coach machen. Er wolle noch tiefer ins Unterbewusstsein seiner Kunden vordringen, sagt Sven Sander. Eine DVD zum Thema Schlagfertigkeit hat er schon herausgebracht, für 39 Euro, auf dem Cover posiert Sander mit Boxhandschuhen. In wenigen Wochen soll auch Sanders erstes Buch erscheinen. Der Titel: "Ich kam, ich sah, ich wirkte".