Jérémie Rhorer dirigiert den Meister ohne hohles Pathos. Die CD “The Birth of a Master“ ist ein Plädoyer für die Subtilität der kleinen Form.

Dirigenten beschweren sich manchmal, die Sänger würden ihnen im Konzert die Show stehlen. Tatsächlich steckt den größten Jubel meist die Sopranistin ein, da kann das Orchester neben den Arien noch so exquisit Sinfonisches darbieten.

Der Franzose Jérémie Rhorer, der vor wenigen Wochen mit seinem Ensemble Le Cercle de l'Harmonie die Laeiszhalle zum Kochen brachte, hat da keinen Grund zur Klage: Das Kraftzentrum seiner neuen CD "Beethoven - The Birth of a Master" ist nämlich Rhorers eigener Konzertmeister Julien Chauvin. Und dafür braucht es nicht einmal Beethovens Violinkonzert, dieses Gipfelwerk schlechthin der Violinliteratur: Chauvin krönt das aus den Jahren 1796 bis 1805 zusammengestellte Programm mit der Romanze F-Dur.

Sein Spiel ist ein klingendes Plädoyer für die Subtilität der kleinen Form. Ohne je den Rahmen dieses Schatzkästchens zu sprengen, zieht Chauvin den Hörer vom ersten Takt an in den Bann seiner Phrasierungen. Und bleibt dabei ganz im schlichten Duktus der Romanze, mit gleichsam nach innen gewendetem Ausdruck. Das Vibrato dosiert Chauvin so sorgsam wie ein barocker Maler den Goldschimmer. Hochdramatische Ausbrüche würden blechern banal erscheinen gegenüber dieses fein austarierten und gerade darum so ergreifenden Musizierens.

Rhorer und Le Cercle de l'Harmonie stehen Chauvin in nichts nach. Schon in den ersten Schlägen der einleitenden "Prometheus"-Ouvertüre legen sie ein aufregend aufgerautes Klangbild an den Tag, von trockenen Paukenschlegeln über schmetternde Naturhörner bis hin zum mal leuchtenden, mal fahl-drohenden Darmsaitenklang der Streicher. Nadelfein rasen die Achtel, und wie rein die Beteiligten intonieren, allein das sorgt für ein Wohlgefühl, das leider nicht so selbstverständlich ist, wie es auf dieser Platte klingt. Doch Rhorer geht es hörbar nicht um Perfektion als solche oder um sportliche Höchstleistungen.

Die Dynamik schattiert er aufs Feinste ab; jede Figur hat ihren Sinn, jede Wendung erzählt eine Szene. In dieser Lesart deutet die so oft unterschätzte Erste Sinfonie in ihrem dramatischen Gehalt weit in die Zukunft zu ihren großen und berühmten Schwestern, zur "Eroica", zur Fünften und so fort.

Eine Sängerin ist natürlich auch von der Partie. Alexandra Cokus voller, beweglicher Sopran haucht der Arie "O wär ich schon mit dir vereint" aus dem "Fidelio"-Vorläufer "Leonore" ein Leben ein, als wäre Beethovens Tonsprache für Sänger nicht manchmal durchaus sperrig. Und Rhorer begleitet sie noch in die kleinste Dehnung oder Raffung des Zeitmaßes.

Das ist ein ganz anderer Beethoven als der perfekt vermarktete Held der pathetischen Donnergesten. Mehr davon! Wie wäre es zum Beispiel mit dem Violinkonzert?

Le Cercle de l'Harmonie, Julien Chauvin, Alexandra Coku, Jérémie Rhorer: "Beethoven - The Birth of a Master" (Ambroisie); www.cercledelharmonie.fr