Das Schauspielhaus als Piratenschiff: Samuel Weiss hat den englischen Kinderklassiker auch als buntes, turbulentes Musiktheater inszeniert

Hamburg. Weihnachten naht unaufhaltsam. Das merkt man nicht zuletzt daran, dass die Märchensaison in den Theatern eröffnet ist. Das Deutsche Schauspielhaus präsentiert diesmal einen englischen Kinderklassiker. "Peter Pan" von James Matthew Barrie kam zu Weihnachten 1904 ins Rampenlicht geflogen. Seitdem hat er sich mit den verlorenen Jungs, der eifersüchtigen Fee Tinkerbell und dem bösen Widersacher Käpt'n Hook auch im Weihnachtsprogramm der deutschen Theater einen festen Platz erobert.

+++ Peter Pan trifft Pop-Ikone +++
+++ Freie Bahn für Peter Pan +++

Es tickt ganz laut im Schauspielhaus. Und jeder, der die Geschichte vom Jungen, der nicht erwachsen werden will, kennt, der weiß: Das kann nur der Wecker im Krokodil sein, das den Piraten Hook fressen will. Die es nicht wissen, können es dann erleben beim spannenden Abenteuer, zu dem Peter Pan die kleine Wendy Darling und ihren Bruder Michael auf die Insel Nimmerland entführt.

Samuel Weiss und Christina Ohmen haben das Stück über das Erwachsenwerden in der fürsorglichen Obhut einer lieben Mutter und des Kindermädchens Nana auf vier Hundepfoten neu bearbeitet. Weiss inszenierte es auch als ein buntes, turbulentes Musiktheater mit Kompositionen und Songs von Martin Lingnau und Frank Ramond. Viel Applaus gab es nach der Premiere für die Hauptdarsteller und Extrabeifall für das riesige Krokodil und den Nimmervogel in Gestalt eines großen Dinos mit farbigen Federflügeln.

"Theater ist ein Zauberkasten", verrät der Erzähler vor dem Samtvorhang. Der Mann mit grünen Haaren und roter Samtjacke (Jürgen Uter) behauptet, dass er eigentlich gar nicht existiere. Das sei nur einer von vielen Tricks im Theater, wo man der Fantasie freien Lauf lassen und sich Menschen oder Dinge einfach weg- oder dazudenken könne. Auf der Bühne wird Wirklichkeit, was in Wirklichkeit nicht passiert.

Welches Kind hätte schon eine tollpatschige Riesendogge mit Spitzenhäubchen als Gouvernante? Und welcher Junge könnte einfach durch das Fenster hereinfliegen? Peter Pan, der kann das. Erst fliegt der Luftikus aus dem Reich der Fantasie im Film mit den Kindern und Fee Tinkerbell (Laura Lo Zito) aus dem Zimmer in den Himmel. Doch dann verschwindet die Leinwand - und die vier fliegen leibhaftig vor dem sternglitzernden Firmament.

Natürlich hängen die schwindelfreien Schauspieler an Seilen. Aber die braucht man sich nur wegzudenken. Das ist der Trick im Theater. Es folgen noch so einige auf der von Ralf Zeger eingerichteten Drehbühne: Mal zeigt sie vier Bäume, auf denen gleichzeitig Frühling, Sommer, Herbst und Winter ist. Mal wird sie zum Piratenschiff von Hook, auf dem die gefangene Wendy (so forsch wie entzückend: Maria Magdalena Wardzinska) am Mast gefesselt ist und von Hook ins Wasser gestoßen wird.

Wie gut, dass die Wellen nur ein vergrößertes Meeresbild aus dem Kinderschlafzimmer sind. Und ihr Arash Marandis kecker Peter Pan (warum als Faun in bleigrauer Ledermontur und Plateausohlen?) zu Hilfe kommt.

Regisseur Samuel Weiss spielt in Zegers Bühnenräumen ironisch mit Illusion und Desillusion, mit Elementen von Comic und Satire, was für kleinere Kinder noch nicht recht verständlich ist. Aber sie werden sicherlich durch den Spaß von Knalleffekten, viel Rauch und Hetzjagden am zuweilen etwas schwerfällig ausgefallenen Spektakel über den Traum vom Fliegen entschädigt, der nicht so recht abheben und einen märchenhaften Zauber entfalten will. Zu illustrativ und parodistisch zeigt Weiss die Szenen von Hook. Gar schrecklich anzusehen ist der wütende und dann komisch ängstliche Hanns Jörg Krumpholz in seinem schwarzen Piratenkostüm mit dem Haken am Arm.

Der Regisseur lässt auch die Tiger Lilly (hübsch wild: Sandra Maria Schöner) und ihre Pickaninnies den Schlachtruf "Männer fangen" mit den Zähnen fletschend singen und tanzen. Und die vier verlorenen Jungs dürfen als Zugabe nach der Premiere noch ein bisschen rappen. Plötzlich herrschen Schwung und eine lockere Stimmung, die auch der Aufführung gutgetan hätten, aber auch deren Atmosphäre unmotiviert brechen. Weiss hat der von ihm beschworenen Zauberkiste Theater und dem Spielraum der Fantasie etwas zu wenig vertraut, wodurch es seiner musikalisch-szenischen Interpretation von "Peter Pan" zuweilen an zwanglosem Charme, an verspielter Leichtigkeit und auch Poesie mangelt.

Peter Pan 20.-25., 27.-30.11. und bis 1.1.2012, Schauspielhaus, Karten unter T. 24 87 13, ab 8 Jahren; www.schauspielhaus.de

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