Der WDR ehrt Olli Dittrichs Fernsehfigur mit einer “langen Dittsche-Nacht“. Erstmals werden private Einblicke gewährt und Dittrichs Wohnung gezeigt.

Manchmal, selten zwar, aber immerhin, ist die Glotze voller Wunder. Dann zappt man durchs Programm und entdeckt noch Perlen. Landet bei Sat.1 und erfreut sich an Serien aus Deutschland. Verharrt bei Vox und stößt auf Dokus zur Primetime. Stoppt bei Pro7 und findet Comedy mit Niveau. Kehrt zurück ins Erste und genießt den Mittwochsfilm. Wechselt zum ZDF und hängt im "Kleinen Fernsehspiel" fest. Doch erst wenn die Woche gelaufen ist, sonntags zur Geisterstunde, zeigt das gute alte Fernsehen wirklich was geschehen kann, wenn Kreativität über Stromlinie siegt und Mut übers Schema. Dann nämlich kommt "Dittsche", und dass er das seit fast acht Jahren darf, unverändert gut, ist das größte TV-Wunder made in Germany.

Da überrascht es nicht, dass sich der WDR am Sonntag ein wenig selbst feiert, wenn er zur "langen Dittsche-Nacht" lädt. Dass sie kurz vor der Tiefschlafphase (23.15 Uhr) startet, während der Regionalkanal zur Hauptsendezeit nach der "Tagesschau" dürre Heimatduselei ("Wunderschön! Der Bayerische Wald") ausstrahlt - das ist schade. Dass man für Dittsche nicht ein, nur ein einziges Mal die Primetime räumt - das ist peinlich. Dass seine wunderbaren Alltagsbetrachtungen aber hier laufen statt im NDR Fernsehen, wo Dittsche, der HSV-Fan mit Hamburger Kodderschnauze, laut Drehbuch zu Hause ist - das ist nur noch lachhaft.

Denn warum der NDR das Stand-up-Format einst ablehnte, als Olli Dittrich seine alte Bühnenfigur auch ihm anbot, weiß man in Lokstedt wohl heute noch nicht genau. Stattdessen zeigt man nun pflichtschuldig Wiederholungen, während die einfach produzierte, aber vielfach preisgekrönte Drei-Mann-Show aus einem Eppendorfer Imbiss in Köln auf Sendung geht. Von da aus fesselt der philosophischste aller Arbeitslosen jetzt ein treues Stammpublikum. Und das hat zur langen Nacht ihres Antihelden online fünf Lieblingsfolgen gewählt, die nacheinander weg laufen. Für echte Fans ist - neben dem üblichen Making of, der neuen Folge 157 und einem Special - auch etwas namens "Heimspiel" gedacht. Dittsche zeigt uns seine Wohnung. Leider.

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Denn 15 Staffeln lang, die Dittsche in Bademantel und -schlappen zur Theke stapfte, um am Ende der Woche zum Bier die Welt zu erklären ("Kahn hat Vogelgrippe"), blieb die Summe seiner Klischees mal liebens-, mal verachtenswert, aber stets abstrakt. Eine Realkarikatur wie Bernd Stromberg, Helga Beimer, Dirk Matthies. Seine Sprüche fanden längst Eingang in den Sprachkanon der Straße, doch "ma sagn", "das perlt", "reiner Titan", "unjetzkommsdu" blieben Worthülsen eines Unfassbaren, wiederkehrende Codes ohne System wie sein ploppender Finger im Bierflaschenhals.

Es gab also nichts als Habitus zwischen Halbwissen und halben Hähnchen in der Endlosschleife, zwischen Gastwirt Ingo (Jon Flemming Olsen), der Dittsches improvisierte Weisheiten abpuffert, und Wirtsgast Schildkröte (Franz Jarnach), dem wortlosen Kneipenmonument, beide gespielt von schauspielerischen Laien, aber Dittrich-Kumpels. Professionell garniert mit Gaststars von Jauch bis Westernhagen, Harald Schmidt als Ingo-Ersatz bis Uwe Seeler als Schildkrötendouble, Moritz Bleibtreu beim Automatenreparieren bis zu den Scorpions beim "Wind of Change"-Singen.

Sie alle sind so sehr sie selbst wie Dittsche. Erst das macht es zu großem Theater in 30 Minuten, vollführt von Stoikern, die sind wie sie sind, weil es ist wie es ist. Wer sein Schicksal freudig akzeptiert, wer das Unabänderliche hinterfragt, ohne stets Antworten zu erwarten, wer also wie Sisyphos immer wieder denselben Stein bergauf wälzt - den muss man sich als glücklichen Menschen vorstellen, hat der Philosoph Albert Camus gesagt.

Stellen wir uns also Dittsche als glücklichen Menschen vor, der den Stein seiner Gedanken unablässig vor sich herrollt. Als virtuoser Zeitvernichter der Zeitvernichtungsmaschine Fernsehen, begründete das Grimme-Institut Dittsches Preis in Gold 2005, sei er die "personifizierte Glotze mit menschlichem Antlitz". Also vor allem Oberfläche, Projektionsfläche, Abstraktionsfläche. In die darf man alles hineininterpretierten. Und nichts.

Warum also neue Kulissen bauen? Warum sich dieses Vorurteil vom Messi im Sperrmüllmobiliar bestätigen lassen, jenes vom staubfreien Spießer im Gelsenkirchener Barock oder ganz andere von Computerhacker bis Familienvater? Warum den Zauber des Vagen durch zu viel Wissen trüben?

Dittsches Geheimnis ist seine Entstehung aus sich selbst. Das ist Heimat genug für alle. "Immer, wenn ich mir den Bademantel überziehe, merke ich, dass ich zu Hause bin", sagt Olli Dittrich zur Glanzleistung, stets unvorbereitet einen Drehort zu betreten, vor dem sich von Dreh zu Dreh mehr Fans versammeln. Um den "vereinsamten Visionär", wie ihn die "Zeit" lobt, live zu sehen, den "Deutschen von Welt", wie die "FAZ" schrieb, eine "universelle Figur", wie Olli Dittrich sagt: ein bisschen wir alle also. Der Dittsche, er steckt in uns. Dem ein Denkmal zu setzen ist allemal angebracht, und sei es bloß per "Dittsche-Nacht". Sein Klo behindert da nur die Sicht.