Auf dem Überjazz-Festival stellt der Hamburger Saxofonist Sebastian Gille sein erstes Album “Anthem“ vor - ein Debüt so reif wie ein Alterswerk.

Hamburg. Man reibt sich die Ohren: Hat je das Debütalbum eines Jazzmusikers so nach Alterswerk geklungen wie "Anthem" des Hamburger Saxofonisten Sebastian Gille? Abgeklärt, zart, Raum lassend und Räume öffnend erfindet er hier mit den drei Kölner Musikern Pablo Held (Klavier), Robert Landfermann (Bass) und Jonas Burgwinkel (Schlagzeug) eine Welt aus Klang, die so überhaupt nicht nach Spielplatz für junge Löwen oder nach Arena für Hähnchenkämpfer des Jazz aussieht.

Vielleicht hat Jean-Paul Sartre ja sogar eher in diese Richtung gedacht mit seinem Spruch, die Jugend habe Sehnsucht nach der Zukunft. Diese musizierende Jugend hier jedenfalls erweckt den Eindruck, als wolle sie Sturm und Drang einfach überspringen und sich mit der Sucherei nach dem Wahren, Richtigen und Schönen nicht unnötig aufhalten, sondern lieber gleich finden, lieber gleich altersweise sein.

Sebastian Gille ist 28 Jahre alt. Dem Jazz im Allgemeinen und dem Saxofonspiel im Besonderen widmet er sich schon sein halbes Leben lang mit einer Totalität, die dann wohl doch der plausiblere Grund ist für die erstaunliche Reife seines ersten Albums. Im kleinen Wohnzimmer seiner Wohnung in Lokstedt stehen sieben prall mit Jazz-Alben gefüllte CD-Regaltürme Spalier. An der Wand Detailfotos von Selmer-Saxofonen, schön gerahmt. Das liebevolle Arrangement aus Saxofonen und einer betagt aussehenden Klarinette unter der Ikea-Stehlampe in der Ecke hat fast etwas Museales. Den halben Fußboden bedecken zwei kühlschrankgroße Linn-Boxen, aus denen Gille dem Gast ein paar Stücke aus "Anthem" vorspielt. Die Platte erscheint am 18. November, jetzt am Sonnabend stellt er Musik und Band beim Überjazz-Festival vor. Und wenn das Presswerk im Plan blieb, gibt es die CD dort auch schon vorab zu kaufen.

Seit den Studioaufnahmen im Sommer hat die Band nicht mehr zusammengespielt. Man muss dazu wissen, dass Gilles Begleiter so ungefähr das Begehrteste sind, was es derzeit im deutschen Jazz unterhalb der Brönner-Liga zu hören gibt. Er selbst, Absolvent der Hamburger Musikhochschule (sein Diplomkonzert ist am 18. Januar), entwickelt sich mit einer Staunen erregenden Mischung aus Gelassenheit und Zielstreben. "Ich wollte der beste Saxofonist werden", sagt der junge Mann mit den in die Stirn handfrisierten Haaren.

1983 in Quedlinburg/Sachsen-Anhalt geboren, wuchs er in bescheidenen Verhältnissen auf. Die Mutter ist Kindergärtnerin und sang, der Vater, der in der Wasserwirtschaft arbeitet, blies ein bisschen Trompete und spielte Gitarre für den Hausgebrauch. Kein Jazz weit und breit - gerade mal einer im Heimatdorf Hoym erzählte von Dixieland. In Aschersleben durfte Sebastian Gille bei Erhard Künzel, dem Onkel des Prinzen-Tobias, Saxofonunterricht nehmen. Von Anfang an wusste er: Das ist mein Instrument. Bald spielte er im Landesjazzorchester, später im BuJazzO, mit 21 Jahren zog er nach Hamburg. Ob er der Beste geworden ist auf dem Saxofon, spielt keine Rolle mehr. Wer seinen Klang darauf so früh so weit entwickelt hat wie er, wird uns noch viel erzählen.

Sebastian Gille Sa 29.10., 23.00 Kampnagel/K1 (Bus 172/173) Jarrestraße 20, Tagestickets 37,50