Am Pult lässt Rhorer nichts anbrennen: Der Franzose Jérémie Rhorer hat sich der Musik des Genies verschrieben. Heute Abend ist er in Hamburg.

Laeiszhalle. Womöglich liegt es daran, dass er so unglaublich französisch aussieht mit den dunklen Locken, dem Schmollmund und den Brauen, deren Schwung an eine klassisch-griechische Skulptur erinnert: Solange er nicht gerade den Taktstock in der Hand hat, ist Jérémie Rhorer kaum auszumachen zwischen den Musikern des Orchesters Le Cercle de l'Harmonie. Wenn sie nach der Probe noch in eine Kneipe auf der Pariser Rive Gauche ziehen, um etwas zu trinken, kann Rhorer eine ganze Weile mit dem Weinglas in der Hand in der Gruppe stehen und schweigen. Aber die Augen hinter den Brillengläsern scheinen beim Zuhören noch größer zu werden, und hin und wieder wirft er eine sehr genaue Frage ein.

Auch am Pult lässt Rhorer nichts anbrennen. Das Klischee vom entrückten Maestro bedient der 38-Jährige nicht. Sein Schlag ist präzise und ökonomisch, Stargehabe und imagefördernde Exzentrik liegen ihm fern. Doch seit er die CD "Salzburg 1773" herausgebracht hat, gilt Rhorer als junger Wilder - mit Grund. Wie entfesselt klingen die drei frühen Sinfonien, so aufregend unpoliert, dass daneben die spieltechnische Perfektion im schönsten Sinne selbstverständlich wirkt. Die Crescendi steigern sich ins Wahnsinnige, und die Tempi lassen einen schwindeln.

Heute Abend sind Rhorer und Le Cercle de l'Harmonie in der Laeiszhalle zu hören. Es ist Rhorers zweiter Auftritt in Hamburg. Karfreitag war er mit der Deutschen Kammerphilharmonie zu Gast, beim Bremer Musikfest ist er regelmäßig dabei. Ansonsten hat die deutsche Öffentlichkeit ihn bislang allenfalls als kongenialen Begleiter von Starsängern wie der Sopranistin Diana Damrau oder dem Countertenor Philippe Jaroussky zur Kenntnis genommen. Will heißen: gar nicht.

In Frankreich dagegen ist Rhorer ein Senkrechtstarter. Von Deauville bis Aix-en-Provence sind er und sein Orchester auf den bedeutenden Festivals anzutreffen. Le Cercle de l'Harmonie pflegt das französische Repertoire um 1800 und die Wiener Klassik - und natürlich Mozart, Dreh- und Angelpunkt von Rhorers musikalischem Denken. Sein Salzburg-Debüt hat er 2010 in der Konzertreihe "Mozart-Matineen" am Pult des Mozarteum-Orchesters gegeben und die traditionelle Aufführung von Mozarts c-Moll-Messe am Originalort dirigiert. Jener Messe, die auch heute Abend auf dem Programm steht.

"Mozart wagt unglaubliche Kontraste in der Messe. Einmal schreibt er chromatische Basslinien von enormer Wucht, und dann verschmilzt er Oboen und Singstimme zu einer Poesie, die in der sakralen Musik einzigartig ist", sagt Rhorer. "Diese Musik hat einen intimeren Ausdruck als Oper."

Das sagt ausgerechnet einer, der sich Mozarts Opern mit Herz und Kopf verschrieben hat. Diesen Sommer hat Rhorer im renommierten Pariser Théâtre des Champs-Élysées einen bejubelten "Idomeneo" einstudiert. Und seine konzertante Fassung von Mozarts "Hochzeit des Figaro" beim Festival von Beaune begeisterte den Kritiker des Pariser "Figaro" derart, dass der ihn auf eine Ebene mit William Christie und Marc Minkowski, den beiden französischen Großmeistern der Alten Musik, hob - und ihm obendrein eine bessere Dirigiertechnik bescheinigte.

Darauf angesprochen zu werden ist Rhorer sichtlich unangenehm. Sonst um keine geschliffene Formulierung verlegen, schaut er am Cafétisch tief in seine Tasse, als könnte er auf ihrem Grund die richtige Antwort lesen. "Natürlich glaube ich daran", murmelt er schließlich, "dass man Dinge mit Gesten vermitteln kann."

Das Verwandeln von Gesten in Musik hat Rhorer schon als Elfjährigen fasziniert. Da sang er in der Chorakademie von Radio France und konnte die Beobachtungen des Dirigenten aus der Nähe beobachten. Und beschloss, auch einer zu werden. Mit 16 Jahren traf er den bulgarischen Dirigenten und Karajan-Schüler Emil Tschakarow, der sein Mentor wurde. Auf dessen Rat hin dirigierte Rhorer, so oft er die Möglichkeit hatte, um Übung zu bekommen, und wenn es nur zwei Pianisten waren. "Für Tschakarow war Dirigieren Handwerk", erzählt Rhorer. "Ich glaube zwar, dass man auch eine Ausstrahlung braucht. Aber die dirigentische Begabung danach zu beurteilen, wie jemand das Podium betritt, so wie Sergiu Celibidache das tat, das finde ich brutal."

Le Cercle de l'Harmonie, Jérémie Rhorer heute, 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz. Karten zu 9,- bis 65,- unter T. 35 76 66 66; www.elbphilharmonie.de