Die russisch-deutsche Pianistin Olga Scheps berührte mit einem wunderbaren Soloabend in der gut gefüllten Hamburger Laeiszhalle.

Hamburg. Im Konzert gewesen. Geweint. Gut, nicht gerade Sturzbäche. Aber beim Recital der jungen Pianistin Olga Scheps in der sehr gut besuchten Laeiszhalle am Mittwoch wurden dem Rezensenten gleich mehrmals die Augen feucht. Manche Musik läuft einfach völlig ungehindert durch die mentalen Filtersysteme. Dann wird all das Vergleichen, Relativieren, kritische Auf-die-Finger-Schauen und Pedaleinsatz-Prüfen bedeutungslos. Hören, Sehen und Fühlen verbinden sich zu einer einzigen vielgestaltigen Sinnesempfindung, die im Herzen zusammenläuft und von dort dem Gehirn signalisiert, es möge die Wehre vor den Tränendrüsen heben. Oder so ähnlich.

Der Weg zum Herzen des Hörers ist steinig und weit. Nur wenigen Musikern ist es gegeben, das Geröll wegzusingen wie einst Orpheus. Olga Scheps ist eine davon. Was war es für eine Freude, ihr dabei zuzusehen, wie sie in ihrem hochgeschlossenen, femininen Ernst am Flügel saß und dem Spiel ihrer Arme und Hände mit dem ganzen, plastisch bewegten Körper Impulse gab. Denn all ihr Wiegen und Biegen war frei von Exaltiertheit; Scheps ist das glatte Gegenteil einer Showpianistin. Sie spielt so tief musikalisch, dass selbst kleine Fehlgriffe nicht den Eindruck außerordentlicher Kunst zu trüben vermögen. Bei ihr ist etwas Unmittelbares am Werk; in den metaphysischen Momenten dieses besonders in der zweiten Hälfte unvergesslich schönen Konzertabends schien es, als habe die Musik selbst sich diese Künstlerin gesucht, auf dass all das Unnennbare, wovon sie erzählt, durch diese Frau mit dem streng auf dem Kopf zusammengeknoteten Haar aufgehoben und weitergesagt werde.

Nach dem noch etwas spröden Entree mit Chopins Fantasie f-Moll op. 49 und zwei vom Charakter reizvoll gegensätzlichen Préludes von Rachmaninow spielte Olga Scheps dessen Corelli-Variationen. Variationen sind Musik über Musik; diese hier sind besonders komprimiert, pianistisch anspruchsvoll und vom Gestus her extrem abwechslungsreich. Das Publikum belohnte die bei aller Virtuosität mit diesem wunderbaren schepsschen Honigton vorgetragene Repertoire-Rarität damit, dass es über weite Strecken das Husten einstellte.

Den zweiten Teil des Abends verwandelte Olga Scheps dann in eine hellwache Séance. Tschaikowskys verspielter "Natha valse", die man sich auch ironisch oder grell überzeichnet vorstellen kann, gab sie eine Wehmut, die als warmer Schatten auch über der "Valse sentimentale" lag. Scrjabins As-Dur-Walzer und eine kleine Chopin-Gruppe waren es dann, die aus dem Saal eine einzige still atmende Seele zu machen schienen. Weil Bravour ein plumpes Wort ist für die bedeutsame, gute Schwere, die die Luft erfüllte, scheut man sich, Scheps' Spiel bravourös zu nennen. Aber natürlich war es das. Noch im Tänzerischen, scheinbar Unbeschwerten hält sie letzte Dinge sehr gegenwärtig. Denn sie weiß es schon: Jedem Walzer wohnt ein Abschied inne.