Seit 40 Jahren ist Heino Bachur Bühnentischler am St.-Pauli-Theater, das ihm zur Familie geworden ist. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht.

Hamburg. Als Heino Bachur sich entschieden hatte, noch ein paar Jahre länger am St.-Pauli-Theater zu bleiben, da verließ er kurz seine Werkstatt im zweiten Stock des alten Hauses, ging vorbei an der kleinen Schneiderei und an der Teeküche hinter der Bühne, bis er vor dem Büro des Intendanten angekommen war und fragte: "Du, Chef ...?"

Und der Chef sagte: "Ja, Heino?"

"Ich mach denn mal länger", sagte Heino.

Und Thomas Collien sagte: "Ja. Is gut."

Vier Jahre ist diese Szene her, und sie erzählt eine kleine, vielleicht gar nicht wichtige Geschichte: Heino Bachur, 69, Bühnentischler am ältesten Privattheater Deutschlands, ist nicht in Rente gegangen. Obwohl er das eigentlich hätte tun können, in seinem Alter und nach mehr als 40 Jahren am St.-Pauli-Theater. Aber vielleicht ist diese Geschichte trotzdem wichtig. Weil sie von einem Menschen handelt, der seine Heimat in einem Haus fand, von dem er selbst nicht dachte, dass er sie hier finden würde. Der ein Leben hinter dem Vorhang führt, "mit allem was dazugehört", wie Heino Bachur es nennt. Er ist die Seele dieses Theaters, er ist dessen Gedächtnis, und dazu sagt er zwei Sätze, die bescheidener wohl nicht sein können: "Das muss man ja wissen, wenn man zum Theater geht, dass es da nicht um einen selbst geht, sondern immer um die Zuschauer. Wenn die am Abend zufrieden und glücklich nach Hause gehen, dann ist das Wichtigste geschafft."

Menschen wie Heino fallen im Theater nicht auf. Natürlich hat irgendwer die Kulissen gebaut, und auf den alten, plüschbezogenen Stühlen sitzt es sich erstaunlich bequem, nur ist das alles wie selbstverständlich, niemand bekommt dafür am Ende Applaus. Den bekommen die Schauspieler. Aber Heino Bachur würde den wohl ohnehin nicht wollen. Denn Bachur, der Bühnentischler vom St.-Pauli-Theater, hat am liebsten einfach nur seine Ruhe.

Die Ruhe des Heino Bachur riecht an diesem Morgen nach Lakritz und Zigaretten. Seine Werkstatt liegt im zweiten Stock, und wer die ausgetretenen, knatschenden Stufen hochgestiegen ist, der bekommt von Heino einen Kaffee und so viele Geschichten, wie die Ruhe einer Werkstatt sie an einem Montagvormittag verträgt. Doch selbst wenn er schweigt, sind sie hier. Fliegen durch die Luft wie Sägemehl, liegen auf der Werkbank und hängen an den Wänden. Plakate vergangener Zeiten. Freddy Quinn, Marika Röck und Elke Sommer. Zurzeit baut Bachur das Bühnenbild für "Jim Knopf & Lukas der Lokomotivführer". Aber nebenbei auch noch eine Pinnwand für das neue Geschäftszimmer, man hat dort genug von Metallflächen mit Magneten. Es soll wieder eine richtige Wand sein, aus Kork und mit Rahmen, und den setzt Heino heute zusammen. Sein langer Oberkörper beugt sich vorsichtig über die Holzleisten. Ein Griff auf deren glatte Oberfläche. Ein vorsichtiges Streicheln.

Hunderte Bühnenbilder hat Bachur in den vergangenen Jahren gebaut, vor allem für die Kinderstücke, wie viele genau, weiß er nicht mehr. Fragt man ihn nach dem kompliziertesten, dann legt er den Kopf schief und die Hände vor seine Brust in die Schürze, dass sie ein wenig nach vorne ausbeult. "Da waren schon einige, der Pumuckl ganz sicher, Arsen und Spitzenhäubchen", sagt er. "Und Flitze Feuerzahn." Wann war denn Flitze Feuerzahn? "Och, irgendwann in den 80ern wird das gewesen sein." 1970 hat Bachur als Tischler am St.-Pauli-Theater begonnen, da war er gerade arbeitslos. Nie zuvor hatte er den Fuß in ein Theater gesetzt. Mit seinen Eltern und einem Bruder war er 1950 aus einem Dorf in Schleswig-Holstein nach Hamburg gezogen, der Vater kam aus dem Krieg, die Familie sollte es besser haben. "Ich weiß noch, als ich neun Jahre alt war", erzählt Heino Bachur, "da habe ich mir beim Spielen den Arm gebrochen. Hat das wehgetan. Einen ganzen Tag haben wir dann gebraucht, um ins Krankenhaus zu kommen." Das sollte in Hamburg anders werden.

Seine Eltern sind inzwischen gestorben, nur sein Bruder lebt noch. In Uhlenhorst teilt sich Heino Bachur eine Zweizimmerwohnung mit Sophie. Sophie ist eine Schildkröte. Er hat sie fast so lange, wie er am Theater ist. Eine eigene Familie gegründet hat er nie. "Wem hätte ich denn diese Arbeitszeiten zumuten sollen", sagt er, "das wäre doch nicht fair gewesen." Ein schöner Satz ist das, aber irgendwie auch ein trauriger. Selbst wenn man weiß, dass Heino Bachur dadurch eine andere Familie gefunden hat.

Einen Schatz nennen sie ihn hier, eine Seele oder Unikat, "so etwas wird doch heutzutage gar nicht mehr gebaut", sagt Intendant Thomas Collien mit einem Augenzwinkern. "Er ist ein wahres Schatzkästchen technischer Tricks, die findet man heutzutage in keinem Fachbuch mehr", sagt Lars Kasten, der technische Leiter des Theaters. Und wahrscheinlich gibt es wirklich keinen Winkel, keinen Schrank, keine Schublade, in die Bachur im St.-Pauli-Theater noch nicht geschaut hat.

In seiner Werkstatt denkt Heino Bachur noch immer nach - über die Frage nach dem schwierigsten Bühnenbild. Da streckt sich plötzlich sein Zeigefinger Richtung Decke. "Oben auf dem Dachboden, da stehen die alten Modelle. Da könnten wir kurz hoch."

Nur ein paar Minuten später hat er die Tür zum Dachboden aufgeschlossen. Still ist es hier, eine Glühbirne flackert, in der Luft liegt der Staub von 100 Jahren. Und tatsächlich, da stehen sie, in einem Regal am Knick der kleinen Stiege: die Modelle der Bühnenbilder, nach denen Bachur 40 Jahre lang die Kulissen gebaut hat. Eines nach dem anderen zieht er heraus. Und beginnt zu erzählen. Von seinem Gastauftritt bei der Benjamin-Blümchen-Inszenierung. Von den "Pumuckl"-Aufführungen, bei denen es immer so aussehen musste, als würde ein unsichtbarer Kobold in der Werkstatt Streiche spielen - Bretter, die umfallen, Sägemehl, das von der Decke rieselt, rotes Wasser, das ins Waschbecken läuft. Alles Ideen von Heino, der Regisseur hatte ihn darum gebeten. "Ja, das war ein Spaß", sagt er und lacht wie ein großer Junge auf dem Dachboden der Eltern, der noch einmal die alten Spielzeuge aus dem Regal zieht. Das ist ein schöner Moment.

Dann muss Bachur zurück an die Arbeit. Am 19. November hat "Jim Knopf" Premiere, und die Arbeit macht sich nicht von allein. So vieles hat sich geändert, seitdem er am St.-Pauli-Theater begonnen hat. Die Wände der Bühnenbilder sind nun aus Sperrholz, nicht mehr aus Stoff; die Zeichnungen dazu kommen aus dem Computer und nicht mehr auf Millimeterpapier.

Nach der Arbeit fährt Heino Bachur meistens heim. Mit den Schauspielern nach der Vorstellung einen trinken zu gehen, wie früher ab und an, das kann er sich schon lange nicht mehr leisten. Dafür sind die Preise in den Kneipen an der Reeperbahn inzwischen zu hoch.