Von Gospel bis Hip-Hop: Mit “Soul Is Heavy“ legt die in Hamburg lebende, 30-jährige Musikerin Nneka wieder ein grandioses neues Album vor.

Hamburg. Da ist dieser traurige, trotzige Blick. Er trifft den Betrachter. Braune Augen schauen aus einem Gesicht, das schlammverkrustet ist. Der getrocknete Lehm hat die Haut weiß gefärbt. Ein Bild, das nicht glatt ist, nicht einfach. Aber es ist passend für das Cover von Nnekas neuem Album "Soul Is Heavy". Wenn die Seele schwer ist, wirken optimierte Oberflächen deplatziert.

"Das Artwork soll den Zustand meiner Seele widerspiegeln, die zwischen zwei Welten lebt, die sehr chaotisch und leer ist", sagt Nneka. Ihr dunkles Englisch hallt durch den Konferenzraum im Hamburger Musikhaus Karostar, wo ihr Management sitzt. Die Haare trägt sie an diesem Tag zusammengebunden, sodass ihre Mimik noch offener spielen kann. Was sie sagt, wie sie spricht, geht schnell in die Tiefe. Zu dringlich scheinen die Themen in ihrem Leben, als dass Zeit für Small Talk wäre.

Der Vater Nigerianer, die Mutter Deutsche, aufgewachsen in Afrika, mit 18 Jahren nach Hamburg gekommen - das ist das Spannungsfeld, in dem sich die 30-Jährige bewegt. Und das sie auf nun mehr drei Platten verhandelt hat.

"Das Gefühl der Leere hat mich in den vergangenen drei Jahren zu Songs inspiriert", sagt Nneka. Das klingt trübsinnig. Doch ihre Musik, die von Gospel über Hip-Hop bis zu akustischen Nummern reicht, birgt eine archaische Kraft. Im Englischen heißt das "Empowerment". Wer Schwäche eingesteht, kann daraus unglaubliche Stärke gewinnen. Und mit diesem Mix aus Verletzlichkeit, Mut und Groove ist Nneka mit ihrem musikalischen Weggefährten DJ Farhot eine herausragende Platte gelungen.

Ihr erstes Album "Victim Of Truth" erzähle die Geschichte von einem Mädchen, das nach Deutschland kommt und verloren ist in der Fremde. Die zweite Platte sei eine Suche nach den eigenen Wurzeln. Und auf der dritten möchte sie nun eine Haltung definieren, bei der die Hautfarbe keine große Rolle mehr spielt. Doch woraus setzt sie sich zusammen, die Person Nneka?

Einen großen Teil ihrer Persönlichkeit nimmt neben der Kunst die Politik ein. In Nigeria ist sie Teil der Bewegung, die von dem 1995 hingerichteten Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa initiiert wurde. Und auf der Bühne prangert sie in Songs wie "Lucifer (No Doubt)" die Korrumpierbarkeit durch Geld und - vor allem im Falle Nigerias - Öl an.

Wie sich ihre Identität in viele Facetten aufteilen kann, zeigt sich im Video zum Titelsong "Soul Is Heavy". In Popart-Ästhetik ist Nneka da als intellektuelle Rapperin mit Brille und Baseballkappe zu sehen, ebenso als tarnverschmierte Kämpferin und als Mutterfigur. "Auf meinem vorigen Album existierten zehn verschiedene Nnekas, jetzt sind es drei bis vier, vielleicht gelange ich mal an einen Ort, wo all diese Persönlichkeiten letztlich eine sind", sagt Nneka und lässt ihre Hände beim Reden fliegen und fließen. An der rechten sind die Fingernägel zart lila lackiert, die der linken sind naturbelassen. Zwei Seiten, die einander nicht ausschließen.

Ihr Ziel ist es, sich von Erwartungen zu befreien. So, wie sie es in der Single "My Home" ausdrückt, die mit ihrem marschierenden Rhythmus an Paraden in New Orleans erinnert. "Ich habe jahrelang funktioniert. In der Musikbranche. Als Aktivistin für Bürgerrechte. In diesem Song wollte ich einfach all das loslassen", sagt sie. Die Idee eines Zuhauses zerfalle zu Dreck, wie sie es formuliert. Staub zu Staub. Da schimmert sie durch, die spirituelle Nneka.

"Soul Is Heavy" ist durchzogen von religiösen Metaphern. "Ich hadere viel mit Gott, jeden Tag", sagt sie und lacht, wird dann aber sehr ernst. "Ich liebe Gott, und Gott liebt mich. Gott und ich, wir haben unsere Themen. Manchmal missverstehe ich ihn. Aber letztlich ist Gott in allem präsent." Besonders augenscheinlich ist diese Auseinandersetzung in dem Stück "God Knows Why", bei dem auch Rapper Black Thought vom Kollektiv The Roots zu hören ist. Nneka ist da eine Predigerin mit rauer Stimme, die in starkem Pidgin singt.

"Pidgin ist eine Sprache für sich. Manche Botschaften kann ich nicht in perfektem Englisch transportieren, die muss ich mit meinem afrikanischen Akzent singen, das ist weniger rational", sagt Nneka. Pidgin appelliere an ihre westlichen Hörer ebenso wie an ihre nigerianischen. Und dass Nneka eine internationale Fangemeinde hat, ist gewiss. Die junge Frau war bereits in der "Late Show with David Letterman" im US-Fernsehen zu Gast. Live trat sie mit Größen wie Lenny Kravitz, Gnarls Barkley und Nas & Damian Marley auf. Dennoch ist Nneka angenehm geerdet.

Für den Interviewtag hat sie sich ihr Mittagessen zu Hause vorgekocht. Reis mit Soße. In einer Jutetasche trägt sie die Schüssel Richtung Küche. Selbst wer der Seele so viel Nahrung gibt, muss mitunter eben etwas Richtiges essen.

Nneka: Soul Is Heavy (Yo Mama/Sony Music); live: 1.11., 20.00, Große Freiheit; www.nnekaworld.com