Der Hamburger Kunstsammler und Mäzen Harald Falckenberg schreibt über Corinna Belz' Kino-Dokumentation “Gerhard Richter Painting“

Dieser Film ist ein Porträt des wohl prominentesten, weltweit anerkannten deutschen Künstlers der Nachkriegszeit. Seine Arbeiten werden in Millionenhöhe gehandelt. Corinna Belz hat Gerhard Richter 2008/2009 in seinem Kölner Studio bei der Herstellung großformatiger abstrakter Gemälde für eine Ausstellung und bei internationalen Auftritten begleitet. Gezeigt werden auch Interviews aus den 60ern und 70ern, einer Zeit, als nichts sicher und die fulminante Karriere Richters in keiner Weise absehbar war.

Der Film kommt zu einem richtigen Zeitpunkt. Wir markieren den 50. Jahrestag des Mauerbaus. 1961 war das Jahr, in dem Richter seinem Leben eine entscheidende Wende geben sollte. 1932 in Dresden geboren, in Zittau als 16-Jähriger zum Werbe- und Bühnenbildner und ab 1952 in Dresden zum Wandbildner und freien Künstler ausgebildet, siedelte Richter kurz vor dem Bau der Mauer nach Düsseldorf um. Hauptanstoß war 1959 sein Besuch auf der Documenta II mit den Action Paintings von Jackson Pollock und zerschnittenen Leinwänden von Lucio Fontana. Richter schrieb sich an der Düsseldorfer Kunstakademie ein und wurde mit den Kunstrichtungen des Informel und des abstrakten Expressionismus, der Pop Art, mit der Kunst der New Media, des Experimentalfilms, der Fotografie und der Performance- und Konzeptkunst konfrontiert.

Die zahlreichen, heute noch im Sumpf des Kunsthandels kursierenden Arbeiten aus seiner Zeit in der DDR hat Richter - das Recht dazu hat er - für ungültig erklärt. Seine Eltern hat Richter nie wiedergesehen. Als er 1987 erstmals wieder in die DDR einreisen durfte, waren sie verstorben. Die Diplomarbeit 1953, ein Wandgemälde im Stil des sozialistischen Realismus im Dresdner Hygienemuseum, ist längst übermalt.

Man wird Richter und den Film ohne diese Vorgeschichte kaum verstehen. Er hat sich in dieser Zeit von den futuristischen Denk- und Handlungsmodellen der Moderne verabschiedet. Er verweigert Botschaften und Statements. Er will und braucht keine Heiligen. Glaube und Moral, na ja: "Man muss seine eigenen Maßstäbe finden. Ich habe mich darauf eingelassen, zu denken und zu handeln ohne die Hilfe einer Ideologie ... kein Bild der Zukunft, keine Konstruktion, die übergeordneten Sinn gibt." All das hat er in der DDR gehabt.

Wir sind mitten in den 60er- und 70er-Jahren, Richter reagiert in seiner vielleicht wichtigsten Schaffensphase zeitgemäß. Der Tod des Autors wird proklamiert. Kunst soll gesellschaftsrelevant sein, in zeitgemäßer Form soziale Wirklichkeit widerspiegeln. Genies, Künstlerfürsten und Bohemiens sind nicht mehr gefragt. Und abgerechnet wurde insbesondere mit der Malerei als Muster sogenannter Repräsentationskunst, die über Jahrhunderte die Macht- und Geltungsansprüche der Kirche, der Feudalherren, Großbourgeoisie und der totalitären Systeme formulierte. Mit dem Schlagwort "Ausstieg aus dem Bild" wurde dieser Übergang von der Hoch- auf die Populärkultur auf den Punkt gebracht.

Richter erwies sich als Meister des Übergangs. Er verwendete Fotografien mit alltäglichen Motiven wie "Party", "Familie Schmidt", "Evelyn", "Onkel Rudi", "Ferrari", "Düsenjäger", "Kerze" oder "Vorhang", die er meist in grauen Farben gemalt oder gedruckt auf Leinwände übertrug und ihnen auf diese Weise einen vagen, schemenhaften Charakter verlieh. Er misstraute dem Medium der Fotografie. Ihm war klar, dass die Aufnahmen in einem besonderen, aus der Erinnerung nicht mehr nachvollziehbarem Kontext entstanden waren und zu jedem späteren Zeitpunkt neu verstanden und bewertet werden: "Ich kann über Wirklichkeit nichts Deutlicheres sagen als mein Verhältnis zur Wirklichkeit, und das hat etwas zu tun mit Unschärfe, Unsicherheit, Flüchtigem und Vorläufigem."

Mit dieser Kunst hat Richter seinen Ruhm begründet. Sowenig er sich auf Bilder fixieren wollte, so wenig hielt er an Stilen und Motiven fest. Er hat, wie es der Kritiker Klaus Honnef formulierte, den "permanenten Stilbruch zum Stilprinzip" erhoben. So entstanden Farbstudien, Stadtbilder, Landschaften, Seestücke, Portraits von Geistesgrößen und der legendäre, vom MoMA in New York erworbene Gemäldezyklus der Baader-Meinhof-Gruppe.

Der Film vermittelt nur in Ansätzen einen Überblick über diese wechselvolle Entwicklung und verzichtet auf Bewertungen des Werks. Wir sehen einen milde lächelnden älteren Herrn bei seiner Arbeit. Alles geordnet. Jedes Werkzeug, ob Pinsel, Rakel oder Spachtel, liegt am angestammten Platz. Zwei Assistenten haben die Ölfarben schon frühmorgens in der erforderlichen Dicke angerührt und auf Töpfe verteilt in Position gebracht. Das geräumige Studio weiß, fast schon klinisch sauber. Richter geht bedächtig vor, er arbeitet an mehreren Leinwänden gleichzeitig.

Er trägt Farbe auf, tritt zurück, betrachtet, zweifelt und fragt gelegentlich die Assistenten oder seine Ehefrau, was sie davon halten: "Ich habe keinen Plan, ich beginne und reagiere, verändere, verwerfe, übermale, bis das Bild gut oder besser nicht mehr falsch ist." Man ist verblüfft über die lakonischen Kommentare des Meisters: " ... könnte etwas schöner sein, ... offener, ... heiterer, ... freier, ... lustiger." Als diskurserprobter Beobachter der Kunstszene fragt man sich unwillkürlich, ob man im falschen Film ist, bei einem der bedeutendsten Künstler der Nachkriegszeit oder - wie die "FAZ" zum Auftritt mit der Ehefrau mutmaßte - bei einer Art Loriot'schen Paartherapie.

Aufschlussreich auch die im Film gezeigten internationalen Auftritte. Richter, immer höflich und zurückhaltend, wird durch das Kunstpublikum eher geschoben, um ihn in die richtige Position für die Elogen des Festredners und die unvermeidlich kurzen Dankesworte des Künstlers zu bringen.

Eine weitere Szene: Die New Yorker Galeristin Marian Goodman besucht das Kölner Studio. Zehn Minuten zu früh, das passt. Richter gilt als einer der wenigen Weltkünstler, die ihre Verabredungen präzise einhalten und niemals zu spät sind. Wenigstens bei der Vorbesichtigung der Kölner Ausstellung im Museum Ludwig etwas Aufbegehren - zur Oberbeleuchtung: "Ich will kaltes Licht. Die Leute sollen sich nicht wohlfühlen, sondern sich darauf freuen, die Ausstellung möglichst bald wieder zu verlassen." Ja, atmen wir auf, das ist der Richter, wie wir ihn aus den 60ern und 70ern kennen oder, vielleicht besser, glaubten zu kennen.

Die Unverbindlichkeit Richters, seine Sprachlosigkeit und die bewusste Relativierung des eigenen Geltungsanspruchs bis hin zur Banalität darf nicht missverstanden werden. Richters Vorgehen hat Methode. Er will sich entziehen, in sich hineinhören und die Vergangenheit und Gegenwart ohne Störung von außen, fernab der Überbietungsrituale des Kunstbetriebs auf seine eigene, künstlerische Weise bewältigen. "Malen", sagt er, "ist eine andere Form des Denkens. Mich interessiert nicht, was erklärt werden kann." Unter dieser Prämisse ist Belz ein ungemein ehrlicher Film gelungen, der Aufschluss nicht nur über den Menschen Gerhard Richter gibt, sondern allgemein einen Einblick in die Denk- und Vorgehensweise von Künstlern vermittelt.

"Gerhard Richter Painting" 16.10. im Alabama-Kino. In der "Atlas"-Ausstellung in den Harburger Phoenixhallen wird auch ein Richter-Bildzyklus gezeigt. Bis zum 8. Januar 2012 zeigt die Tate Modern London eine Richter-Retrospektive. Werkverzeichnis: Dietmar Elger (Hg.) "Gerhard Richter Catalogue Raisonné. Volume 1". 512 S. mit 539 Abb., Hatje Cantz, 248 Euro