Schon immer sind Menschen großen Stimmen verfallen, von Kastratsängern über Tenöre bis hin zur A-cappella-Metaltruppe Van Canto.

Hamburg. Die menschliche Stimme ist die älteste und ursprünglichste musikalische Ausdrucksform, daran gibt es kaum Zweifel. Den eigenen Körper als Instrument zu nutzen liegt ja auch erst einmal näher als, sagen wir, ein Saxofon zu erfinden oder Rindersehnen zwecks Klangerzeugung auf einen Bogen zu spannen. Und so durchdringt die Singstimme nicht nur alle Lebensbereiche, sie ist auch in der Mythologie unverzichtbar - und Träger ewiger Wahrheiten. Zum Beispiel wenn es um die Intonation der heiligen Silbe OM geht. Schließlich ist aus hinduistischer beziehungseise buddhistischer Sicht OM ein Urlaut, auf den alle Klänge des Universums und sogar sämtliche Ausdrucksformen des Universum selbst zurückzuführen sind. Heiligen Schriften und großen Meistern zufolge können die durch OM-Singen ausgelösten Schwingungen größte Gebäude zum Einsturz bringen und die alltäglichen Verstrickungen in weltliche Angelegenheiten lösen. Nicht schlecht.

Dass Gesang die unterschiedlichsten Gefühle auszulösen vermag, ist klar, doch kaum jemand schwebte wohl je so in Gefahr wie Odysseus, der den Sirenen gefährlich nahe kam und beinahe das Schicksal vieler Schiffer geteilt hätte, die - so die griechische Mythologie - dem lieblichen Gesang folgend alles um sich herum vergaßen und schließlich dem Tode geweiht waren. Odysseus, der alte Fuchs, war bekanntlich schlauer, ließ seinen Mitfahrern die Ohren mit Wachs verschließen und sich selbst an einen Mast binden, um der Versuchung zu widerstehen.

Unfassbaren Wohlklang, aber ohne Lebensgefahr als Beigabe, vermochte der italienische Kastrat Farinelli Mitte des 18. Jahrhunderts zu verbreiten, dessen Auftritte vor allem bei den Frauen im Publikum Begeisterung am Randes der Hysterie auslösten. Sogar von sexueller Erregung höchsten Grades allein aufgrund der dargebotenen Triller ist die Rede. Auch als Therapeut wurde Farinelli eingesetzt: Dem spanischen König Philipp V. sang er zehn Jahre lang jeden Abend sechs Lieder vor, um den Monarchen von seiner Schwermut zu heilen.

Auf diesem Niveau vermochte sich anderthalb Jahrhunderte später nicht einmal Enrico Caruso zu bewegen, auch wenn er bis heute als größter Tenor aller Zeiten gilt. Welches Maß an Euphorie der kleine Mann mit der großen Stimme auszulösen in der Lage war, lässt Werner Herzogs Spielfilm "Fitzcarraldo" ahnen, in dem ein glühender Caruso-Anhänger alles daransetzt, ein Opernhaus im Urwald zu errichten, um den Neapolitaner endlich einmal live hören zu können. Der Mann war einfach einer großen Stimme verfallen. Und nicht nur er.

Doch die menschliche Stimme, sie steht nicht immer im Mittelpunkt. Beim Heavy Metal beispielsweise ist sie zwar wichtig, aber noch wichtiger sind natürlich die alles niedermähenden Gitarrenriffs, gerne gespickt mit ausufernden Fingerverbieger-Soloparts. Insofern ganz schön mutig, wenn die deutsche Band Van Canto als A-cappella-Metaltruppe in den Ring steigt, die E-Gitarren lediglich lautsprachlich imitiert und nur von einem Schlagzeug begleitet klassische Nackenbrecher von Größen wie Metallica ("Battery"), Iron Maiden ("Fear Of The Dark") und Manowar ("Kings Of Metal") interpretiert. Dass die menschliche Stimme die älteste und ursprünglichste musikalische Ausdrucksform ist (siehe oben), interessiert da erst mal niemanden. Es muss knallen, es muss krachen - alles andere ist egal. Spirituelles Fortkommen oder hormonelle Purzelbäume erwartet am 14.10. in der Markthalle wohl niemand. Eine Demonstration der Durchschlagskraft der menschlichen Stimme schon. Die Latte liegt nicht eben niedrig ...

Van Canto Fr 14.10., 18.00, Markthalle (U Steinstraße), Klosterwall 9-21, Karten zu 25,- im Vvk.; www.vancanto.de