Beim Wacken Open Air wurden Altstars wie Judas Priest und Motörhead gefeiert. Altmeister Ozzy Osbourne schäumte auf der Bühne.

Wacken. "Da kommt Lemmy!" Große Aufregung unter den anwesenden Musikern, viele selbst Stars, als der legendäre Motörhead-Frontmann - wie immer ganz in Schwarz, mit Sonnenbrille und Cowboy-Hut - auftaucht und sofort in einer dunklen Limousine verschwindet. Die bringt den 65-Jährigen von der Garderobe zum Interview-Pavillon, wo das ZDF bereits seine Kameras aufgebaut hat. Lemmy geht die knapp 100 Meter nicht, sondern lässt sich fahren, weil er für einen kurzen Moment seine Ruhe haben möchte, denn sogar hier, im Artist Village, einem Bereich, zu dem beim Wacken Open Air nur die auftretenden Bands Zutritt bekommen, sind seine Fans allgegenwärtig. Und heiß auf ein Erinnerungsfoto.

Einige, die gerade selbst auf der Bühne bejubelt wurden, laufen dem Wagen sogar mit der gezückten Handykamera hinterher, um vielleicht doch noch einen Schnappschuss auf die Speicherkarte zu bekommen. Und Rudolf Schenker, immerhin Mitglied der Scorpions, fragt beim Sicherheitspersonal höflich an, ob Lemmy einen Moment Zeit für ihn habe.

"Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst!", lässt Richard Wagner in seinen "Meistersingern von Nürnberg" den Schuster Hans Sachs fordern. Die Mehrzahl der 75.000 Besucher, die aus Wacken in den letzten Tagen mal wieder den Nabel der Heavy-Metal-Welt gemacht haben, kennen diese mahnenden Worten vermutlich nicht. Falls doch, dürften sie sie als Selbstverständlichkeit empfinden. Mögen Firmen auch ihre Ü-50-Mitarbeiter aussortieren, mag Alter auch als unsexy gelten: In Wacken gehen die Uhren ein wenig anders. Seit 35 Jahren ist Lemmy nun schon mit Motörhead unterwegs, hat unzählige Male seine Begrüßungsformel "We are Motörhead. And we play Rock 'n' Roll" ins Mikro gegrummelt.

Doch als das Trio die riesige True Metal Stage betritt, sind keine Abnutzungserscheinungen festzustellen. Die Band prügelt sich durch eine mit Klassikern wie "Bomber" und "Ace Of Spades" gespickte Setlist, das Publikum, darunter viele, die Lemmys Enkel sein könnten, schreit, klatscht und hüpft. Hier wird die Kunst geehrt. Ziemlich lautstark sogar. Und manchmal gerät das Ganze zur körperlichen Herausforderung, etwa wenn sich euphorisierte Crowdsurfer im Minutentakt auf den Händen des Publikums Richtung Bühne tragen lassen. "Rock 'n' Roll is my religion", singt der Mann mit der Warze. "Play it till the day I die." Man glaubt es ihm aufs Wort.

Viele der Headliner wären im wahren Leben längst reif für die Rente. Judas Priest zum Beispiel, deren Sänger Rob Halford, 60, im martialischen Leder-Nieten-Outfit immer noch eine respektable Figur macht. Die ganz hohen Töne lässt der kluge Mann mittlerweile aus, doch die Bühnenpräsenz ist ungebrochen. 42 Jahre hat die Band auf dem Buckel, rockt aber in Wacken härter als viele der Jungspunde, die vor und nach ihnen in den Ring geschickt werden.

Auch Helloween und Blind Guardian, beide aus Deutschland, beide seit 27 Jahren im Geschäft, dürfen sich über jubelnde Massen freuen. Über Menschen, die mit ihren Songs groß geworden sind und textsicher in Erinnerungen schwelgen. Alte Meister, die in Wacken den verdienten Lohn einfahren. Die viel beschworene Treue der Metal-Fans, da ist sie wieder.

Manchmal profitiert von ihr sogar einer, der besser schon im Vorruhestand wäre: Ozzy Osbourne. Klar, der Mann ist eine lebende Legende und hat mit der Band Black Sabbath das Genre maßgeblich geprägt. Die düster treibenden Riffs von "Paranoid" kennen selbst Heavy-Metal-Verächter. Aber die Jahrzehntelange Zufuhr bewusstseinslähmender Drogen ist nicht folgenlos geblieben. Wie eine Karikatur zittert sich der 62-Jährige über die Bühne, verzieht mit leicht wirrem Grinsen das Gesicht und freut sich wie ein kleines Kind, wenn er die ersten Reihen mit seiner Schaumspritze durchfeuchtet. Betreutes Konzertgeben statt betreutes Wohnen? Das schmerzt und läuft nur durch die exzellente Begleitband nicht völlig aus dem Ruder. "Ob der jemals wiederkommt?", fragt sich ein Besucher. Lieber nicht. Freundlichen Applaus bekommt Ozzy trotzdem. Der guten alten Zeiten wegen.

Natürlich haben bei der 22. Auflage des Wacken Open Air auch viele junge Bands überzeugt: die thüringische Metalcore-Berserker Heaven Shall Burn etwa, die australischen AC/DC-Epigonen Airbourne und die Metal-A-cappella-Formation Van Canto. Doch um 75.000 Tickets zu verkaufen, braucht es immer wieder die großen Alten. Das weiß WOA-Gründer Thomas Jensen, der am letzten Festivaltag die ersten für 2012 bestätigten Bands bekannt gab. Headliner werden die Scorpions sein, deren Anfangstage mehr als vier Jahrzehnte zurückliegen. Vom 2. bis 4.8. auch dabei: Ministry, Gamma Ray und U.D.O. - Veteranen allesamt. 100 Bands dürften noch dazukommen, doch bis die komplette Planung steht, sind garantiert schon wieder alle Tickets weg. Der Vorverkauf läuft seit heute 0.01 Uhr über die Website www.metaltix.com .

Der Festival-Blog zum Wacken Open Air 2011