Heute vor 60 Jahren begann die Geschichte des Ernst-Deutsch-Theaters. Für Gründer Schütter stand es stets im Dienst der Aufklärung.

Hamburg. "Wenn ich die Person vor eine Sache stelle, werde ich leicht scheitern", sagte er einmal in einem Interview. Der Gründer und langjährige Intendant des Ernst-Deutsch-Theaters Friedrich "Fiete" Schütter (1921-1995) betrieb seine "Sache Theater" jedoch niemals sachlich, sondern mit Herzblut, Sachverstand und totalem Engagement - als Schauspieler, Regisseur und Direktor seines Privattheaters an der Mundsburg. Heute vor 60 Jahren startete es als "Das Junge Theater", und der Weg von der Behelfsbühne 1951 im British Information Center an den Großen Bleichen zum jetzigen großen Haus war nicht einfach.

Friedrich Schütters Konzept eines kritischen Gegenwarttheaters wurzelte in der Erfahrung von Hitler-Diktatur und Krieg. Er wollte außerdem seine Sicht von Kunst als Alternative zum konventionellen Schauspiel realisieren und den Nachwuchs fördern. Nach dem Start musste es im Folgejahr in die Neue Rabenstraße 13 und 1956 ins Volksheim an der Marschnerstraße ziehen. Schließlich fand es im alten Ufa-Lichtspielhaus an der Mundsburg sein endgültiges Domizil.

Wie so oft waren Schütter Zeitumstände und Zufall zu Hilfe gekommen. Dass in den Siebzigern einsetzende Kino-Sterben und das wachsende Theaterpublikum hatten ihn auf die Idee gebracht, nach größeren Räumlichkeiten zu suchen. Beim Besuch des James-Bond-Films "007 jagt Dr. No" sagte er zu seiner damaligen Frau Elisabeth plötzlich: "Das ist es. Das wird unser neues Theater!" Den Besitzer Franz Potenberg beeindruckte Schütters Entschlossenheit, und er fegte gegen alle Einwände anderer Interessenten den geplanten Supermarkt kurz und knapp vom Tisch: "Dat weer 'n Theoter, un dat blivt 'n Theoter." Am 23. April 1964 eröffnete Molières "Don Juan" in der Fassung von Bertolt Brecht und Benno Besson das Haus mit 741 Plätzen. Schon in der Saison darauf gelang mit Karl Parylas Inszenierung des "Marat"-Dramas von Peter Weiss ein Sensationserfolg.

Für die Finanzen war schon damals Schütters rechte Hand Wolfgang Borchert zuständig. Er vereinigte das seltene Talent des knallharten Kaufmanns mit dem herrlich kauzigen Komödianten, der ein Faible für klerikale Rollen hatte. "Momme", wie Borcherts Spitzname lautete, spielte sie alle: vom Papst bis zum schlitzohrigen Pfaffen. "Schütter war der Motor, ich der Bremser und Neinsager", charakterisierte Borchert das Betriebsgeheimnis der "Mundsburg-Brothers". Von Beginn an tätig als Kassenwart, versuchte er nach Kräften, Fietes Kunstvisionen zu ermöglichen.

Schütter hatte einen Spürsinn für Talente und den richtigen Zeitpunkt. Er nützte die Krise am Schauspielhaus nach Oscar Fritz Schuhs Weggang und präsentierte die Kirchenallee-Stars Elisabeth Flickenschildt, Ella Büchi, Richard Münch und Will Quadflieg zur Freude des Publikums und zu seinem Nutzen. Er umwarb auch Ernst Deutsch, wollte dessen legendären Nathan auf seiner Bühne zeigen, konnte ihn zu Auftritten 1967 gewinnen und benannte nach ihm 1973 das Theater, um den legendären jüdischen, ins Exil vertriebenen Schauspieler zu würdigen.

Als in der Folge der 68er die "Mitbestimmung", das Modell einer kollektiven Theater-Führung in (oft end- wie fruchtlosen) Diskussionen mit den Ensembles angesagt war, wagte auch Schütter 1975 den Versuch mit fünf jungen Schauspielern. Volker Lechtenbrink und Jörg Pleva waren darunter, konnten Shakespeare ("Wie es euch gefällt") oder Komödie ("Charleys Tante") spielen und inszenieren. "Nach zwei Jahren war es mit dem Kollektiv vorbei", erinnert sich Lechtenbrink. Aber er ist dem Haus treu geblieben, steht gerade mit dem Solo "Heute weder Hamlet" auf der Bühne. In gewissem Sinn ist er später in die Fußstapfen seines Förderers Fiete getreten, spielte wie er den General Harras in "Des Teufels General" und amtierte 2004 zweieinhalb Jahre lang als Intendant. "Immer ging hier alles in Frieden und ohne große Streitereien ab", betont Lechtenbrink, der als "Hauptmann von Köpenick" einen weiteren großen Erfolg verbuchte. "Ich muss mich in einem Theater wohlfühlen, sonst kann ich nicht arbeiten."

Auch Daniela Ziegler hat Schütter 1979 an sein Haus geholt. "Wir kannten uns von Bad Hersfeld, wo wir zusammen gespielt haben", erzählt sie. Fiete wurde für die bekannte Film- und Musical-Schauspielerin zur fördernden Vaterfigur. "Schütter hat mir künstlerische Kontinuität in Hamburg gegeben und damit auch eine Heimat, wofür ich ihm bis heute dankbar bin." Sie blieb auch nach seinem Tod dem Theater verbunden, feierte einen Triumph als Martha in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", ebenso als Callas in "Meisterklasse" und im Bravoursolo "Das Jahr des magischen Denkens".

Viele Karrieren, sogar Weltkarrieren haben am "Jungen Theater" begonnen. Die Schütter-Bühne wurde nicht nur für unzählige, heute bekannte Schauspieler wie Charles Brauer oder viel später Ben Becker zum Sprungbrett. Der Blockbuster-Produzent Wolfgang Petersen ("Das Boot") war 1960 zwei Jahre lang Regieassistent und "Mädchen für alles", wechselte dann aber an die Filmhochschule in Berlin, um später nach Hollywood durchzustarten. Der jetzige Ohnsorg-Intendant Christian Seeler war 1980 "Azubi" an der Mundsburg und entdeckte dort seine Leidenschaft für das Theater. Auch der Ex-Kapitän vom Hamburger Kulturdampfer "Das Schiff", Eberhard Möbius, arbeitete als Dramaturg, Regisseur und "Einspringer vom Dienst". Fiete, Momme und Möbi waren über Jahre die tragenden Säulen des "Jungen Theaters".

Zum Konzept des Ernst-Deutsch-Theaters gehörten immer auch die Auftritte von Stars. Liselotte Pulver, Ursula Herking, Inge Meysel waren hier zu sehen, auch Witta Pohl, die andere "Mutter der Nation", und Judy Winter mit ihrer unschlagbaren "Marlene". Auch Mario Adorf, Hardy Krüger und Thomas Fritsch und viele andere Berühmtheiten kamen gern zu Gastspielen.

Als in den 90er-Jahren "Fietes Sache" in Gefahr geraten war, als aus dem jungen Theater ein altes, wenn nicht gar veraltetes hätte werden können, hat seine Frau Isabella Vertés es so diplomatisch wie entschieden und klug gerettet. Nach Schütters Tod 1995 hat sie dieses als Intendantin in seinem Sinn weitergeführt, verteidigt und es verstanden, dem Haus neue Farbe, Frische und Form zu geben. Isabella Vertés-Schütter entwickelte einen modernen Spielplan, gestaltete das äußere Erscheinungsbild und die innere Struktur neu und gab der ausgebauten Jugendtheater-Sparte einen eigenen Spielort.

Politisch wie sozial engagiert, setzt sie sich wie ihr verstorbener Mann auf der Bühne und im Leben für eine gerechtere Gesellschaft und Welt ein. Nicht umsonst bezeichnete Friedrich Schütter den Nathan als eine seiner Lieblingsrollen. Denn mit dieser Figur sei, wie er einmal bekannte, seine Hoffnung und Vision auf eine friedlichere Welt verknüpft, "in der die Toleranz geübt wird, wie sie der Nathan predigt".

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