Gastland der Frankfurter Buchmesse ist Island. Für die Bewohner dieser Insel wäre ein Leben ohne Literatur möglich, aber sinnlos.

Hamburg. Wenn es um die Vermarktung des eigenen Landes ging, haben die Isländer im Großen und Ganzen ein gutes Händchen gehabt, das muss man ihnen lassen. Keinen Weltkrieg angezettelt, Amerika entdeckt, als erster Staat der Welt eine Frau zur Präsidentin gewählt - so etwas kommt an, da fällt das mit dem Walfang am Ende gar nicht mehr ins Gewicht. Und so haben es die Isländer tatsächlich geschafft, gemocht zu werden, obwohl sie niemand richtig kennt (geschweige denn versteht), und geschätzt zu werden als Kulturvolk, das ausstrahlt in die Welt. "Wir Isländer stehen auf einem Balkon über der Welt", hat die Sängerin Björk Gudmundsdóttir gesagt. "Da schauen wir in Ruhe, was passiert, und picken uns das Beste heraus." Ja, auf so einem Balkon würde man auch gern mal stehen.

Gerade einmal 320 000 Einwohner zählt Island, also ein wenig mehr als Altona - verteilt auf die Fläche von Bayern und Baden-Württemberg. In diesem Jahr ist dieses winzige Land zu Besuch bei der Frankfurter Buchmesse, die heute beginnt. Ein schöner Gast ist das, man kann sehr viel von ihm lernen. Künstler werden auf Island hoch geschätzt, Schriftsteller ohnehin. Über Jahrhunderte hinweg gab es auf der Insel kaum größere Städte und das kulturelle Angebot war begrenzt - mit Ausnahme der Literatur. Das zieht sich bis in die Gegenwart. 170 Verlage gibt es inselweit, sie bringen etwa 1500 Neuerscheinungen pro Jahr auf den Markt, und die Isländer lesen sie, überhaupt sind sie ein Volk von Büchernarren: Zweieinhalb Millionen Titel kaufen sie jährlich, das sind umgerechnet sieben bis acht pro Kopf.

Der Grund dafür liegt weit in der Vergangenheit. "Ohne die Literatur, die Sagas und die Eddas hätten die Isländer längst vergessen, dass sie Isländer sind." Diesen Satz hat der Hamburger Autor und Isländisch-Übersetzer Kristof Magnusson jüngst geschrieben, und er fasst die isländische Liebe zum Buch bestens zusammen: Ohne das geschriebene Wort hätte sich dieses Volk im Nordatlantik nie behaupten können.

So ein Balkon weckt schließlich Begehrlichkeiten, das Wissen darum ist tief verankert im kollektiven Gedächtnis der Isländer. Das ja immerhin bis ins Mittelalter zurückreicht - von dieser Zeit erzählen die berühmten Sagas, also das Best-of aller Mord- und Totschlagszenen zwischen den ersten Siedlern im 9. und 10. Jahrhundert. Das hat einen überschaubaren Informationsgehalt, ist aber doch so etwas wie der Quellcode der Isländer, der Grundstein ihres nationalen Bewusstseins. Und noch heute können sie diese Literatur im Original nachlesen. Ihre Sprache hat sich seit dem Mittelalter kaum verändert. Weiterhin wehren sich Isländer gegen fremde Begriffe in ihrer Muttersprache, statt "Computer" sagen sie zum Beispiel "tölva", eine Kombination der Wörter für Hexenwerk und Zahlen.

Vielleicht ist die Sprache der Isländer der beste Beweis für den Konservatismus, der trotz aller Neugier und Weltoffenheit inselweit gepflegt wird. Ihren Halldór Laxness erkoren sie erst zum Nationalheiligen, als er 1955 den Nobelpreis für Literatur gewann. Davor verfolgte man sein Tun eher skeptisch, schließlich war er überzeugter Kommunist und hielt damit wenig hinter dem Berg. Zur Buchmesse hat der Steidl-Verlag sein Werk noch einmal komplett neu übersetzen lassen, eine feine Edition ist das geworden, die man sich als Island-Freund durchaus leisten darf.

Nach wie vor sind die deutschsprachigen Länder das Haupteinfallstor der Isländer zum Kontinent. "Das Interesse, das Deutsche, Schweizer und Österreicher uns isländischen Autoren entgegenbringen, ist manchmal schier unbegreiflich", schreibt der Bestseller-Autor Hallgrímur Helgason in seinem Geleitwort zum sehr schönen Sammelband "Niemandstal - Junge Literatur aus Island". Es trägt den Titel "Der isländische Schriftsteller: eine seltene Art, aber nicht vom Aussterben bedroht". Ein gutes Motto, auch für den Auftritt der Isländer in Frankfurt.

Zur Buchmesse erscheinen über 200 Island-Titel auf dem deutschen Markt, die meisten spielen im Hier und Jetzt. Isländische Frauen werden jung Mutter, im europäischen Vergleich bekommen sie am häufigsten Kinder; und wie selbstverständlich fließen diese Themen in die Literatur ein. Die Hauptpersonen der Autorin Audur Jónsdóttir etwa leben meist in Patchworkfamilien, Gudrún Eva Mínervudóttir erzählt in "Der Schöpfer" die Geschichte eines Mannes, der Sexpuppen herstellt - kann ja durchaus ein Thema sein, auf einer so dünn besiedelten Insel.

Und doch, bei aller Alltagsproblematik, sind da auch immer die Alten, die in den Romanen vorkommen, die erzählen können von einer Zeit, als Island noch eine rückständige dänische Kolonie war und die Menschen in Hütten aus Torf und Treibholz lebten. Bei allem darf man ja nicht vergessen, dass dieses Land so lange arm war, wie es alt ist. Einar Már Gudmundsson hat darüber einen ganzen Roman geschrieben, "Fußspuren am Himmel" heißt er und erzählt eine Kindheit in einem Kellerloch von Reykjavik. Wer in seinem Leben nur ein einziges isländisches Buch lesen möchte, sollte vielleicht dieses wählen.

Infos zur Frankfurter Buchmesse: www.buchmesse.de